Politik & Legal Tech

Interviews zu rechtspolitischen fragen

Am 26. September 2021 steht die Bundestagswahl an. Mit der aktuellen Debatte um das sogenannte “Legal Tech Gesetz” scheint die Thematik rund um digitale Rechtsdienstleistungen und “Legal Tech” auf der politischen Agenda angekommen zu sein. Beim Blättern durch die Wahlprogramme der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Parteien des 19. Bundestages wird allerdings deutlich, dass der Schein trügt. Lediglich im Wahlprogramm der FDP findet "Legal Tech" überhaupt Erwähnung, wenn auch nur in einem Absatz.

Mit unserem Interviewformat zur Bundestagswahl versuchen wir das politische Meinungsbild im Kontext aktueller gerichtlicher Entscheidungen und Gesetzgebungsinitiativen abzubilden. Dazu haben wir den Parteien, die im 19. Deutschen Bundestag sitzen, die Möglichkeit der Stellungnahme zu einem Fragenkatalog gegeben. Von der hier nicht repräsentierten AfD hat uns keine Antwort erreicht.

ZU DEN ANTWORTEN:


Highlights

Legal Tech Gesetz

Erfolgshonorare für Anwälte werden im gerichtlichen Bereich erstmals bei der Geltendmachung von Geldforderungen bis zu € 2000,- erlaubt. Warum einerseits die Lockerung, andererseits aber die Begrenzung? Warum gerade eine Begrenzung auf € 2000,-?

“Das Ziel des Gesetzes ist, die Chancengleichheit zwischen Legal Tech-Anbietern und der Rechtsanwaltschaft zu erhöhen. Besonders im Fokus stehen dabei die Prozessfinanzierung und das Erfolgshonorar, die - zurecht - sensible Themen sind, für die wir aber nun einen tragfähigen Kompromiss gefunden haben. Erfolgshonorare dürfen nun u.a. bei Forderungen bis 2000€, aber nicht bei höchstpersönlichen Forderungen vereinbart werden.”


“Es gab innerhalb der Koalitionsfraktionen unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit Erfolgshonoraren für Anwälte. Wir waren uns daher einig, dass eine Öffnung nur mit bestimmten Einschränkungen möglich ist. Dies betrifft auch die konkrete Grenze von 2000 Euro. In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag beschlossen, die Angemessenheit der Regelungen nach 3 Jahren zu überprüfen.”


“Wir haben uns als Freie Demokraten stets gegen eine Deckelung von Erfolgshonoraren eingesetzt. Die aktuelle Begrenzung auf 2000 € halten wir für falsch, jedoch ist in der Sache festzuhalten, dass die erstmalige Erlaubnis von Erfolgshonoraren grundsätzlich einen richtigen Schritt darstellt.”


“Die Möglichkeit, im Bedarfsfall ein Erfolgshonorar vereinbaren zu können, kann den Zugang zum Recht verbessern, wenn die Sache anderenfalls aufgrund des Kostenrisikos nicht oder nicht adäquat verfolgt würde. Das Problem der Kosten als Zugangsschranke besteht dabei erfahrungsgemäß in besonderem Maße bei geringen Streitwerten. Insofern ist die Größenordnung grundsätzlich richtig gewählt, auch wenn der konkrete Betrag letztlich willkürlich erscheinen mag. Im Übrigen betrachten wir die beschlossene Regelung als ein Angebot, praktische Erfahrungen zu sammeln, und würden das Gesetz zeitnah auf empirischer Basis evaluieren wollen.”


“Die Wertgrenze von 2000 Euro beruht auf keiner empirischen Analyse, sie wurde willkürlich festgelegt. Das vorgeschobene rationale Desinteresse, dass bis zu dieser Summe auf die Durchsetzung von Rechten verzichtet wird, ist nicht nachvollziehbar. Entscheidend für Verbraucherinnen und Verbraucher ist vielmehr der unkomplizierte Zugang zum Recht, der unmittelbar zu einer Entschädigung führt. DIE LINKE lehnt eine Ausweitung der Erfolgshonorare ab, da die dem Schutz der Ratsuchenden vor Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze widerspricht. Dadurch wird der Zugang zum Recht erschwert, da unsichere bzw. komplizierte Forderungen nicht mehr durchgesetzt werden.”


Prozessfinanzierung

Die Prozessfinanzierung (also die Übernahme von Verfahrenskosten durch den Anwalt im Falle einer Niederlage) bleibt verboten, für Inkassodienstleister aber weiter erlaubt. Hier ist die Anwaltschaft also weiterhin gegenüber auf Inkassolizenz operierenden Anbietern benachteiligt. Was rechtfertigt es, diese Benachteiligung der Anwaltschaft aufrecht zu erhalten?

“Dies war ebenfalls ein Diskussionspunkt, bei dem in dem sehr komplexen Verfahren keine abschließende Klärung erzielt werden konnte. Auch das unterliegt der Evaluierung nach 3 Jahren.”


“Unser Modell für die Prozessfinanzierung hat zwei Vorteile: Wir ermöglichen es Anwältinnen und Anwälten im außergerichtlichen Verfahren, wo die meisten Fälle abgewickelt werden, nun ebenfalls den Verbraucherinnen und Verbrauchern interessante Beratungsmodelle anzubieten. Zum anderen bleiben die anwaltlichen ‘core values’ gewahrt: Da im Gerichtsverfahren das finanzielle Risiko steigt, halten wir eine finanzielle Interessentrennung durch das Verbot der Prozessfinanzierung zwischen der Rechtsanwaltschaft und der Mandantschaft hier für den richtigen Weg.”


“Wir Freien Demokraten erachten dieses Verbot der Prozessfinanzierung für Anwälte als strukturelle Benachteiligung. Wir sehen auch hier weiterhin Veränderungsbedarf.”


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“Eine Prozessfinanzierung kann erhebliche Auswirkungen auf das Mandatsverhältnis haben. Dabei ist für das anwaltliche Mandatsverhältnis das Vertrauen der Mandantinnen in die Unabhängigkeit Ihrer Anwältinnen ganz zentral. Ein vergleichbares Vertrauensverhältnis zum jeweiligen Inkassounternehmen wird vom Rechtsverkehr nicht in diesem Maße erwartet. Außerdem ist es nicht Aufgabe der Anwaltschaft, Kredite zu vergeben, sondern guten Rechtsrat zu erteilen. Gerade kleinere Kanzleien im ländlichen Raum sind wichtig, um den Zugang zum Recht zu gewährleisten. Dieses Angebot darf nicht durch finanzstarke Prozessfinanzierer verdrängt werden.”


“DIE LINKE lehnt die weitere Ausweitung der Tätigkeit der Inkassodienstleister hinein in die Tätigkeit von Anwältinnen und Anwälten ab. Die Anwaltschaft ist ein speziell staatlich geschütztes Berufsbild, das eine hohe Qualifikation und Tätigkeitsbreite erfordert. Dies ist mit der Tätigkeit von Inkassodienstleistern nicht vergleichbar, daher ist eine Bevorzugung und/oder Gleichbewertung abzulehnen. Eine Benachteiligung der Anwaltstätigkeit hat nach unserer Auffassung massive negative Auswirkungen auf den Rechtsstaat. Qualifizierte Rechtsberatung setzt Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen voraus, denen die Inkassodienstleister nicht unterliegen. Im Gegensatz zu Rechtsanwälten sind Inkassounternehmen nicht vom Staat unabhängig, sie unterstehen der staatlichen Wirtschaftsaufsicht, § 13a, § 18 RDG.”


eLegal e.V.

About Us

Wir, eLegal e.V., sind eine studentisch gegründete, bundesweit aktive Initiative. Wir beschäftigen wir uns mit den Herausforderungen der Digitalisierung im juristischen Kontext. Gegenstand unserer Arbeit ist das Ermöglichen und Fördern einer praxisnahen Auseinandersetzung mit juristischen Zukunftsthemen. In unserem Interviewformat sprechen wir in regelmäßigen Abständen mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über kritische Fragestellungen und Innovationen aus dem Bereich digitale Rechtsdienstleistungen und Legal Tech. Mit unserem Sonderformat zur Bundestagswahl ermöglichen wir eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den in den Wahlprogrammen nicht repräsentierten Positionen der Parteien des 19. Deutschen Bundestages hinsichtlich des “Legal Tech-Gesetz”, Erfolgshonoraren, Prozessfinanzierung sowie dem Reformbedarf der juristischen Ausbildung.


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Redaktion Interviews