Interview

Bündnis 90 / Die Grünen

Im Namen von Bündnis 90 / Die Grünen antwortet uns Katja Keul, MdB und rechtspolitische Sprecherin der Partei.


Teil I: Legal Tech-Gesetz

1) Ihre Fraktion hat am 10.06.2021 im Deutschen Bundestag dem sogenannten "Legal Tech-Gesetz" zugestimmt. Was war für Sie der entscheidende Grund, dem Gesetz trotz aller verbleibenden Streitigkeiten zuzustimmen?

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Das Gesetz war dringend notwendig, weil durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Inkassobegriff Widersprüche zum anwaltlichen Berufsrecht entstanden sind, die so nicht bleiben konnten. Es brauchte hier eine gewisse Liberalisierung, um das Berufsrecht nicht insgesamt angreifbar zu machen. Nach der Expertenanhörung wurde die Möglichkeit der Prozessfinanzierung durch die Anwaltschaft noch gestrichen, was für uns wichtig war, um dem Gesetz am Ende zuzustimmen.


2) Erfolgshonorare für Anwälte werden im gerichtlichen Bereich erstmals bei der Geltendmachung von Geldforderungen bis zu € 2000,- erlaubt. Warum einerseits die Lockerung, andererseits aber die Begrenzung? Warum gerade eine Begrenzung auf € 2000?

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Die Möglichkeit, im Bedarfsfall ein Erfolgshonorar vereinbaren zu können, kann den Zugang zum Recht verbessern, wenn die Sache anderenfalls aufgrund des Kostenrisikos nicht oder nicht adäquat verfolgt würde. Das Problem der Kosten als Zugangsschranke besteht dabei erfahrungsgemäß in besonderem Maße bei geringen Streitwerten. Insofern ist die Größenordnung grundsätzlich richtig gewählt, auch wenn der konkrete Betrag letztlich willkürlich erscheinen mag. Im Übrigen betrachten wir die beschlossene Regelung als ein Angebot, praktische Erfahrungen zu sammeln, und würden das Gesetz zeitnah auf empirischer Basis evaluieren wollen.


3) Die Prozessfinanzierung (also die Übernahme von Verfahrenskosten durch den Anwalt im Falle einer Niederlage) bleibt verboten, für Inkassodienstleister aber weiter erlaubt. Hier ist die Anwaltschaft also weiterhin gegenüber auf Inkassolizenz operierenden Anbietern benachteiligt. Was rechtfertigt es, diese Benachteiligung der Anwaltschaft aufrecht zu erhalten?

Eine Prozessfinanzierung kann erhebliche Auswirkungen auf das Mandatsverhältnis haben. Dabei ist für das anwaltliche Mandatsverhältnis das Vertrauen der Mandant*innen in die Unabhängigkeit Ihrer Anwält*innen ganz zentral. Ein vergleichbares Vertrauensverhältnis zum jeweiligen Inkassounternehmen wird vom Rechtsverkehr nicht in diesem Maße erwartet. Außerdem ist es nicht Aufgabe der Anwaltschaft, Kredite zu vergeben, sondern guten Rechtsrat zu erteilen. Gerade kleinere Kanzleien im ländlichen Raum sind wichtig, um den Zugang zum Recht zu gewährleisten. Dieses Angebot darf nicht durch finanzstarke Prozessfinanzierer verdrängt werden.


4) Auf Inkassolizenz operierende Legal Tech-Unternehmen haben oft beklagt, sie müssten in einem rechtlichen Graubereich operieren. Im RDG wird nun durch den neu gefassten § 2 dahingehend Klarheit geschaffen, dass Inkassodienstleister auch auf die Einziehung einer Forderung gerichtete "rechtliche Prüfung und Beratung" vornehmen dürfen. Die Fraktion der AfD wollte folgende weitere Klarstellung in das RDG aufnehmen: "Dienstleistungsangebote, die von vornherein auch oder ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung einer zur Einziehung auf fremde Rechnung abgetretenen Forderung gerichtet sind, sind keine Rechtsdienstleistung." Sie haben gegen einen entsprechenden Änderungsantrag gestimmt. Was sprach gegen diese Klarstellung?

Wir hätten uns eine engere Definition des Inkassobegriffs gewünscht.  Ist die gerichtliche Geltendmachung von Anfang an beabsichtigt, sollte es sich gerade nicht um Inkasso handeln, sondern um eine Rechtsdienstleistung, die der Anwaltschaft vorbehalten bleiben sollte.


5) In Schadensersatzverfahren gegen Volkswagen hielt die Rechtsprechung die Abtretung von Forderungen an Rechtsdienstleister in einigen Fällen wegen Verstößen der Rechtsdienstleister gegen das RDG für nichtig. Auf Grund der unwirksamen Abtretung waren die Ansprüche mittlerweile verjährt und konnten von den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht mehr geltend gemacht werden. Wie kann der Verbraucherschutz an dieser Stelle verbessert werden?

Da das RDG gerade die Rechtssuchenden schützen soll, kann das Ergebnis, dass Rechtssuchende infolge des RDG ihre Ansprüche verlieren, nicht zufriedenstellen. Es ist uns daher ein großes Anliegen, schnellstmöglich für eine bessere Absicherung der Rechtssuchenden zu sorgen. Außerdem wollen wir durch die Einführung einer Gruppenklage die Klagerechte von Verbraucher*innen und anderen Geschädigten vereinfachen und verbessern.


Teil II: Automatisierter Vertragsgenerator als Rechtsdienstleistung?

6) Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich aktuell mit der Frage, ob im Angebot eines Rechtsdokumente-Generators ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz liegt (Streitgegenstand: smartlaw.de / Verfahren: Az. I ZR 113/20; Verkündungstermin am 26.08.2021). Mit einem solchen können individuelle Rechtsdokumente wie Mietverträge durch die Beantwortung einer Reihe von Fragen erstellt werden. Umstritten ist, ob es für das Vorliegen einer solchen einer menschlichen Leistung bedarf.

Handelt es sich Ihrer Auffassung nach bei diesem und vergleichbaren Angeboten um eine Rechtsdienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes? Was muss aus Ihrer Sicht entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer Rechtsdienstleistung sein?

Wir werden mit Interesse verfolgen, ob und wie sich der Bundesgerichtshof zu der Frage verhält, inwiefern entsprechende Angebote Gefahren für den Rechtsverkehr mit sich bringen, die für eine Behandlung nach dem RDG sprechen. Die Kriterien könnten dabei sein, ob das jeweilige Angebot aus Sicht der Anwender*innen den Anschein sachlich objektiver Ausgewogenheit und institutioneller oder persönlicher Unabhängigkeit erweckt, und inwiefern der Dienst für sich in Anspruch nimmt, einen Lebenssachverhalt abschließend regeln zu können (oder ob nur ein erkennbar lückenhaftes Vorprodukt geliefert wird, dass erkennbar darauf angelegt ist, lediglich als Grundlage einer Beratung oder Verhandlung zu dienen). 


Teil III: Juristische Ausbildung

7) Halten Sie es für nötig, die juristische Ausbildung zu reformieren und an die gewandelten Anforderungen anzupassen, die angesichts zunehmender Möglichkeiten, juristische Aufgaben durch technische Lösungen auszuführen oder zu unterstützen, an Berufsanfänger gestellt werden? Wenn ja, was ist Ihrer Ansicht nach die größte Baustelle?

Ja. Es ist unbedingt nötig, dass die Aufgaben, die den Studierenden im Studium / Examen gestellt werden, die technischen Möglichkeiten stärker antizipieren, sonst droht die Lehre den Anschluss an die Praxis zu verlieren, denn bei der Digitalisierung geht es längst nicht mehr nur darum, die analogen Verfahren ins Digitale zu übertragen. Daher reicht es auch nicht, Studierenden einen verständigen Umgang mit der jeweils neuesten Technik zu vermitteln. Gleichzeitig muss der Umgang mit den technischen Mitteln nicht zwingend immer (mit)geprüft werden. Die Lehre darf jedoch nicht so tun, als gäbe es die technische Entwicklung nicht. Auch ist die Grundlagenvermittlung angesichts der technischen Möglichkeiten zu stärken. Dafür müssen Freiräume geschaffen werden, um angesichts der Stofffülle keine Zielkonflikte auszulösen. Dazu und um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse und die Prüfungsgerechtigkeit zu erhalten, braucht es einen verstärkten Austausch zwischen den Bundesländern und mit dem Bund.


8) Wie werden Sie sich für die Gewährleistung einer zeitgemäßen (→ Digitales) / ausreichend vorbereitenden juristischen Ausbildung einsetzen?

In vielfacher Hinsicht spiegelt die Ausbildungssituation leider nur die realen Defizite im Hinblick auf den digitalen Zugang zum Recht wieder. Indem wir diese Defizite abbauen, verändern wir gleichzeitig die Erfahrungs- und Arbeitsbedingungen der Lehrenden und der Studierenden. So wären z. B. neue Klageverfahren bald auch Gegenstand der Lehre und ein breiterer Zugang zu instanzgerichtlichen Urteilen brächte Rechtsprechung und Forschung näher zusammen, was sich auch auf die Lehre auswirken würde. All dies erfordert in allen Bereichen eine gute Ausstattung. Die Technik ist dabei aber nicht nur Arbeitsmittel. Vielmehr ist der Stand der Technik inzwischen als eigenständiger Faktor zu berücksichtigen, der aus sich heraus nicht nur die Lebenswirklichkeit sondern auch die Rechtsfindung beeinflusst, und daher sowohl inhaltlich als auch methodisch in der Lehre abgebildet werden muss. Die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen ist eine Gemeinschaftsaufgabe, an der wir mitwirken wollen.