Interview

Die Linke

Im Namen der Linken antwortet uns aus der Bundesgeschäftsstelle der Bereich Strategie und Grundsatzfragen.

DieLinke_RGB.jpg

Teil I: Legal Tech-Gesetz

1) Ihre Fraktion hat am 10.06.2021 im Deutschen Bundestag gegen das sogenannte „Legal Tech-Gesetz“ gestimmt. Was war für Sie der entscheidende Grund, dem Gesetz nicht zuzustimmen?

DIE LINKE hat dem 'Legal-Tech-Gesetz" aus vier Gründen nicht zugestimmt:
1. Legal Tech-Unternehmen verteuern den Zugang zum Recht. Es werden nur Fälle mit hoher Gewinnwahrscheinlichkeit angenommen, die angenommenen Fälle sind einfach strukturiert (im Jargon „Plain Vanilla Cases“), man lässt sich vom Prozessgegner die Gebühren nach RVG nach § 91 ZPO erstatten und vom Verbraucher 30% seiner Klagforderung einschließlich der gesamten Verzugszinsen für die Klagforderung.
2. Der Gesetzentwurf sollte ein rationales Desinteresse durch Erfolgshonorar überwinden; ein solches ist jedoch gar nicht erkennbar.
3. Es besteht kein Insolvenzschutz für den Verbraucher bei einer Insolvenz des Legal Tech-Unternehmens.
4. Die Deregulierung des Anwaltsrecht verstärkt die Spaltung der Anwaltschaft. An die Stelle einer objektiven rechtlichen Beratung tritt eine Selektion der Verfahren nach Renditegesichtspunkten, also der Gewinnaussicht. Der Rechtsschutz wird damit nicht verbessert, sondern für komplexere Verfahren mit kleinen Streitwerten eher verhindert.


2) Erfolgshonorare für Anwälte werden im gerichtlichen Bereich erstmals bei der Geltendmachung von Geldforderungen bis zu € 2000,- erlaubt. Wie hätten Sie die Frage der Erfolgshonorare geregelt?

Die Wertgrenze von 2000 Euro beruht auf keiner empirischen Analyse, sie wurde willkürlich festgelegt. Das vorgeschobene rationale Desinteresse, dass bis zu dieser Summe auf die Durchsetzung von Rechten verzichtet wird, ist nicht nachvollziehbar. Entscheidend für Verbraucherinnen und Verbraucher ist vielmehr der unkomplizierte Zugang zum Recht, der unmittelbar zu einer Entschädigung führt. DIE LINKE lehnt eine Ausweitung der Erfolgshonorare ab, da die dem Schutz der Ratsuchenden vor Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze widerspricht. Dadurch wird der Zugang zum Recht erschwert, da unsichere bzw. komplizierte Forderungen nicht mehr durchgesetzt werden.


3) Die Prozessfinanzierung (also die Übernahme von Verfahrenskosten durch den Anwalt im Falle einer Niederlage) bleibt verboten, für Inkassodienstleister aber weiter erlaubt. Hier ist die Anwaltschaft also weiterhin gegenüber auf Inkassolizenz operierenden Anbietern benachteiligt. Ist diese Benachteiligung aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? Wenn nicht, wie würden sie sie beseitigen?

DIE LINKE lehnt die weitere Ausweitung der Tätigkeit der Inkassodienstleister hinein in die Tätigkeit von Anwältinnen und Anwälten ab. Die Anwaltschaft ist ein speziell staatlich geschütztes Berufsbild, das eine hohe Qualifikation und Tätigkeitsbreite erfordert. Dies ist mit der Tätigkeit von Inkassodienstleistern nicht vergleichbar, daher ist eine Bevorzugung und/oder Gleichbewertung abzulehnen. Eine Benachteiligung der Anwaltstätigkeit hat nach unserer Auffassung massive negative Auswirkungen auf den Rechtsstaat. Qualifizierte Rechtsberatung setzt Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen voraus, denen die Inkassodienstleister nicht unterliegen. Im Gegensatz zu Rechtsanwälten sind Inkassounternehmen nicht vom Staat unabhängig, sie unterstehen der staatlichen Wirtschaftsaufsicht, § 13a, § 18 RDG.


4) Auf Inkassolizenz operierende Legal Tech-Unternehmen haben oft beklagt, sie müssten in einem rechtlichen Graubereich operieren. Im RDG wird nun durch den neu gefassten § 2 dahingehend Klarheit geschaffen, dass Inkassodienstleister auch auf die Einziehung einer Forderung gerichtete "rechtliche Prüfung und Beratung" vornehmen dürfen. Die Fraktion der AfD wollte folgende weitere Klarstellung in das RDG aufnehmen: "Dienstleistungsangebote, die von vornherein auch oder ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung einer zur Einziehung auf fremde Rechnung abgetretenen Forderung gerichtet sind, sind keine Rechtsdienstleistung." Sie haben gegen einen entsprechenden Änderungsantrag gestimmt. Was sprach gegen diese Klarstellung?

DIE LINKE lehnt das Gesetz im Ganzen ab und demzufolge ist auch keine Verbesserung im falschen System möglich. Wir haben daher alle eingebrachten Änderungsanträge abgelehnt.


5) In Schadensersatzverfahren gegen Volkswagen hielt die Rechtsprechung die Abtretung von Forderungen an Rechtsdienstleister in einigen Fällen wegen Verstößen der Rechtsdienstleister gegen das RDG für nichtig. Auf Grund der unwirksamen Abtretung waren die Ansprüche mittlerweile verjährt und konnten von den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht mehr geltend gemacht werden. Wie kann der Verbraucherschutz an dieser Stelle verbessert werden?

DIE LINKE ist gegen eine Verlagerung der Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher auf Rechtsdienstleister, denn sie sind für diese teuer, da sie bis zu 30 Prozent der Ansprüche auch beim Obsiegen bezahlen müssen. Die Rechtsdurchsetzung kann außerdem zum Verlust des kompletten Anspruches führen, ohne dass der Verbraucher einen Ersatz des erlittenen Schadens gegenüber dem Rechtsdienstleister gelten machen kann. Zur Verbesserung des Verbraucherschutzes will DIE LINKE die kollektive Rechtsdurchsetzung in Deutschland verbessern, dahin dass diese zu einem einfachen und kostenlosen direkten Schadensausgleich führt, die kostenlose Streitschlichtung stärken und Sammelklagen einführen.


Teil II: Automatisierter Vertragsgenerator als Rechtsdienstleistung?

6)  Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich aktuell mit der Frage, ob im Angebot eines Rechtsdokumente-Generators ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz liegt (Streitgegenstand: smartlaw.de / Verfahren: Az. I ZR 113/20; Verkündungstermin am 26.08.2021). Mit einem solchen können individuelle Rechtsdokumente wie Mietverträge durch die Beantwortung einer Reihe von Fragen erstellt werden. Umstritten ist, ob es für das Vorliegen einer solchen einer menschlichen Leistung bedarf.
Handelt es sich Ihrer Auffassung nach bei diesem und vergleichbaren Angeboten um eine Rechtsdienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes? Was muss aus Ihrer Sicht entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer Rechtsdienstleistung sein?

Dem Bundesgerichtshof vorliegenden Fall liegt ein Rechtsdokumente-Generator zugrunde, der Verträge aus der Beantwortung von Fragen erstellt, welche einem anwaltlichen Beratungsgespräch nachempfunden ist. Die Fraktion DIE LINKE hält keine weiteren solchen Ausweitungen auf den Bereich der Rechtsdienstleistungen für vertretbar. Insoweit werden wir das Urteil mit Interesse zur Kenntnis nehmen und seine Auswirkungen dann bewerten.


Teil III: Juristische Ausbildung

7) Halten Sie es für nötig, die juristische Ausbildung zu reformieren und an die gewandelten Anforderungen anzupassen, die angesichts zunehmender Möglichkeiten, juristische Aufgaben durch technische Lösungen auszuführen oder zu unterstützen, an Berufsanfänger gestellt werden? Wenn ja, was ist Ihrer Ansicht die größte Baustelle?

Die juristische Ausbildung ist veraltet und wird den Anforderungen an eine moderne Jurist*innenausbildung immer weniger gerecht. Sie ist nicht sehr studierendenfreundlich, weil psychisch belastend für die Studierenden und geprägt von fehlender Transparenz und Chancengleichheit. Zudem ist die Abstimmung unter den Ländern mangelhaft, was sich negativ auf die Vergleichbarkeit der Examina auf der Bundesebene auswirkt. Eine moderne juristische Ausbildung sollte die Studierenden dazu befähigen, ein systematisches Verständnis von Gesetzen beigebracht zu bekommen, Normen zu hinterfragen und kreative Analysefertigkeiten zu vermitteln, statt das Auswendiglernen gelernter Rechtsprechungsinhalte und von Gesetzen zu fordern. Daher ist die Einführung von Grundlagenfächern im Studium und die Zulassung gängiger Standardkommentare in beiden Staatsprüfungen – bisher ist dies nur in der zweiten juristischen Prüfung der Fall - bei der Anfertigung der Aufsichtsarbeiten als Hilfsmittel unabdingbar. In Zeiten der Digitalisierung sollte es den angehenden Juristinnen und Juristen auch freigestellt sein, schriftliche Arbeiten am PC oder Laptop zu erbringen. Es sollte eine bundesweite Möglichkeit zum Abschichten der Klausuren geben und der integrierte Bachelorabschlusses sollte flächendeckend eingeführt werden. Letzteres verhindert vor allen, dass Studierende nach jahrelangem Studium im Fall des Durchfallens durch die juristische Prüfung ohne Abschluss dastehen. Insbesondere für Studierende mit Kind oder solche mit zu pflegenden Angehörigen sollte es die Möglichkeit eines Teilzeitreferendariats geben, um auch für sie die Chancengleichheit zu gewährleisten. Dringend zu verbessern ist auch die Qualität der Bewertung der Aufsichtsarbeiten in den Staatsprüfungen.


8) Wie werden Sie sich für die Gewährleistung einer zeitgemäßen (→ Digitales) / ausreichend vorbereitenden juristischen Ausbildung einsetzen?

DIE LINKE hat sich bereits für eine umfassende Reform der juristischen Ausbildung stark gemacht. Wir fordern eine Änderung des 5 d Absatz 1 Satz 3 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) dahin gehend dass die dortige Verordnungsermächtigung auf Festlegung von Standards für die Prüfungsdurchführung erweitert wird. In der neugefassten Verordnung ist zu regeln, dass schriftliche Prüfungsleistungen mindestens fakultativ auch in digitaler Form erbracht werden dürfen. Wir fordern in den ersten und zweiten Staatsprüfungen eine Änderung der Aufsichtsarbeiten um eine stärkere Schwerpunktsetzung der Studierenden zu ermöglichen. Das Referendariat sollte auf Antrag auch als Teilzeitreferendariat absolviert werden dürfen und gängige Standardkommentare in beiden Staatsprüfungen bei der Anfertigung der Aufsichtsarbeiten als Hilfsmittel zugelassen werden. Aufsichtsarbeiten der beiden Staatsprüfungen sollten auf Antrag in zwei oder drei zeitlich getrennten Abschnitten angefertigt werden dürfen (Abschichten). Die Zweitkorrektur der Aufsichtsarbeiten in beiden Staatsprüfungen muss unabhängig von der Erstkorrektur durchgeführt wird, indem der Zweitprüfer weder Namen noch Noten des Erstprüfers kennt. Bundesländer sollten die offenkundigen Kapazitätsengpässe in ihren Prüfungsämtern dadurch beheben, dass die Vergütungssätze für nebenamtliche Prüferinnen und Prüfer deutlich angehoben werden. Dadurch steigt auch die Attraktivität der nebenamtlichen Prüfungstätigkeit. Die Bundesländer sollten während des juristischen Studiums flächendeckend einen integrierten Bachelorabschluss ermöglichen.