"Ich sehe den Punkt mit dem Kaffee."

 

Vor kurzem wurden die Ergebnisse der Digital Study 2019 in der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift (NJW) veröffentlicht. Es handelt sich um die erste Studie, die den Stand der Digitalisierung in der Juristenausbildung erfasst und diesbezügliche Erwartungen der Studierenden und Referendare ermittelte: "Studierende und Referendare sind sich bewusst, dass Digitalisierung und Legal Tech im Begriff sind, eine juristische Arbeitswelt zu schaffen, die neue Anforderungen an die eigenen Fähigkeiten stellt. Sie wünschen sich ein Ausbildungsangebot, das diesen kommenden Herausforderungen gerecht wird. Dieser Wunsch drückt sich darin aus, dass Studierende und Referendare in allen Ausprägungen von Digitalisierung und Recht über deutlich mehr Wissen verfügen wollen, als dies jetzt der Fall ist. Insbesondere das Recht der Digitalisierung und Legal Tech sollten ihrer Meinung nach sowohl im Jurastudium als auch im Referendariat intensiver Gegenstand von Lehr- und Ausbildungsveranstaltungen werden. In methodischer Hinsicht wünschen sich Studierende Lehrmethoden, die an das digitale Zeitalter angepasst sind." (NJW 2020, S. 1043 [1045])  - Gregor Laudage


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Martin Fries ist Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und gegenwärtig Lehrstuhlvertreter an der Georg-August-Universität Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bürgerlichen Recht, Zivilverfahrensrecht und Anwaltsrecht, jeweils mit einem besonderen Augenmerk auf den Folgen der Digitalisierung für das Recht und die Rechtspflege. Seine digitale Lehre ist erreichbar über https://www.jura-podcast.de.


Lieber Martin, ich freue mich, dich hier begrüßen zu können. Wie bist du eigentlich als Wissenschaftler und Hochschullehrer zum Thema Legal Tech gekommen? Es ist ja ein Thema, das anfangs mehr die Praxis beschäftigt hat und nicht den wissenschaftlichen Betrieb.

Ja, tatsächlich, so nehme ich das auch wahr. Das Thema Legal Tech kommt aus der Praxis. Zwar haben die Juristen schon vor Jahrzehnten – auch an der Uni – über die Rechtsinformatik sehr tief nachgedacht, aber diese große Legal-Tech-Bewegung, die kommt aus der Praxis. Insofern - so war es damals auch bei mir - braucht man wahrscheinlich einfach Interesse an der Praxis und irgendwie so eine Art Tuchfühlung damit. Ich war ein paar Jahre lang als Anwalt tätig, einfach um ein bisschen Fingerspitzengefühl dafür zu bekommen, was dort alles so passiert. Ich habe den Kontakt auch nie ganz abreißen lassen, auch wenn ich längst die Anwaltszulassung zurückgegeben habe. Während meiner Zeit als Anwalt habe ich gemerkt, wie sich die Fälle verändern, die zu den Gerichten kommen. Und ich habe erfahren, was im Moment die neuen Problemstellungen und rechtlichen Fragestellungen sind. Wenn man darauf sein Augenmerk hat, dann kommt man eigentlich an der Digitalisierung kaum vorbei. Gerade im Bereich der anwaltlichen Rechtsdienstleistungen tut sich da natürlich enorm viel. Wenn man dann noch ein bisschen unternehmerisch denkt und wiederum auch versucht, das mit eigenen Themen – wie bei mir Zivilrecht, Zivilrechtsverfahren und Anwaltsrecht – zu vernetzen, ist es eigentlich ganz logisch, dass man auf Legal Tech kommt – so war es auch bei mir. Es gibt natürlich Menschen, die mich darauf aufmerksam gemacht und eine besondere Rolle gespielt haben. Das wäre auf der einen Seite Micha Bues, der inzwischen bei BRYTER ist, einem der führenden Legal Tech Unternehmen in Deutschland. Auf der anderen Seite Philipp Sandner, der inzwischen an der Frankfurt School of Finance das Blockchain Center führt. Beide kenne ich sehr gut. Unabhängig voneinander haben sie mir gesagt, dass Legal Tech etwas ist, auf das ich schauen sollte. Das hat gereicht, um mich zu infizieren.


Du hast dich über das Thema Verbraucherrechtsdurchsetzung habilitiert. Gerade in diesem Bereich spielt Legal Tech eine große Rolle. Meine Vermutung wäre daher gewesen, dass du so zu dem Thema gekommen bist.

Genau, einerseits bildete dieses Feld natürlich den Hintergrund meiner Arbeit, andererseits muss ich sagen, dass die Erkenntnisse der letzten Jahre im Bereich Legal Tech leider nicht mehr in meine Arbeit einfließen konnten, weil sie schon vorher fertig war. Ich will nicht sagen, dass die Arbeit jetzt nur noch rechtshistorisch bedeutsam ist. Die Fragestellungen von damals treiben uns nach wie vor um und sie sind eher noch relevanter geworden, seit ich mein Buch veröffentlicht habe.


Legal Tech

Legal Technology, kurz Legal Tech, steht für Software und Online-Dienste mit rechtlichem Bezug. Gleichzeitig ist Legal Tech sinnbildlich für den Einzug der Digitalisierung in der juristischen Branche. Der Begriff ist weit zu verstehen - er bewegt sich von unterstützenden Verwaltungstools, Automatisierungstools wie Vertragsgeneratoren und digitalen juristischen Plattformen bis hin zu Online-Rechtsdienstleistungen für Verbraucher. Die Technologie verspricht eine Effizienzsteigerung von Rechtsabteilungen, Kosteneinsparungen und leichteren Zugang zu Rechtsschutz für Bedürftige.


Du lädst deine Vorlesungen seit Jahren als Podcast auf YouTube hoch, wie kam es zu dieser Idee?

Auch dafür gibt es jemanden, der mich inspiriert hat. Das ist seinerzeit sogar ein Anwaltskollege von mir gewesen: Dominik Herzog. Vielen– zumindest den Nachwuchsjuristen – ist er ein Begriff, da er schon seit Jahren einiges auf YouTube macht. Das beschränkt sich nicht nur auf den Bereich der Unterhaltung, sondern er macht auch Videos zu ernsteren Themen, die jungen Juristinnen und Juristen dabei helfen sollen, sich für ihr Studium und die Praxis zu motivieren. Ich glaube, er ist dort auf eine echte Marktlücke gestoßen. Vor inzwischen knapp drei Jahren hat er mir gesagt, dass ich das doch auch mal ausprobieren soll, denn auch für Online-Lehre gibt es da draußen ein reges Interesse. Er hat mir dann ein bisschen die Angst davor genommen, dass etwas da draußen auf Band ist, bei dem man jetzt vielleicht nicht jeden Stein umgedreht hat oder jedenfalls nicht jedes Wort nochmal genauso sagen würde. So ist es halt, wenn etwas live aufgenommen wird. Damit hat er mich überzeugt, seitdem bin ich mit Begeisterung gerade auch auf YouTube dabei.

So ist es halt, wenn etwas live aufgenommen wird.

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Sylvenstein Rechtsanwälte ist eine wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Partnerschafts-Sozietät, der PD Dr. Martin Fries, LL.M. als Gründungspartner angehörte und noch heute als nicht-anwaltlicher of Counsel verbunden ist. Die Sozietät legt ihren Fokus vor allem auf das Arbeits-, Banken- und Kapitalmarktrecht sowie das Handels- und Gesellschaftsrecht und allgemeine Wirtschaftsrecht.


Wie waren die Reaktionen der Studierenden, dass du auf einmal deine Vorlesung auf YouTube hochgeladen hast?

Die erste Vorlesung war das Internationale Privatrecht, also ein Nischenthema, muss man einfach so sagen, damals in Mannheim. Diejenigen, die im Hörsaal der Vorlesung gefolgt sind, waren jetzt nicht die ersten, die sich für die Podcasts interessiert hätten. Sie haben schließlich schon die Live-Version bekommen. Sie haben es akzeptiert, dass ich die Vorlesung aufnehme und damit war das Thema mehr oder weniger auch vorbei. Ich glaube, man erreicht über die digitalen Medien, gerade über YouTube, noch einmal ganz andere Nutzergruppen, die man im Hörsaal wahrscheinlich gar nicht sieht.


Und von deinen Kollegen an der Universität, wie waren da die Reaktionen?

Ich glaube, dass die meisten Dozenten an juristischen Fakultäten bis zur Corona-Krise nur wenig vom Thema Online-Lehre mitbekommen und sich auch eher wenig dafür interessiert haben. Es gibt natürlich Ausnahmen. Eine Handvoll von Professoren in Deutschland nutzt diese Möglichkeiten schon seit Jahren für ihre Lehre. Die sind der Netzgemeinde auch bekannt.


Bleiben wir bei diesem Thema. Du meintest gerade, dass viele Kollegen jetzt vor der Herausforderung stehen, zum ersten Mal digital zu lehren. Würdest du sagen, dass es Grundregeln gibt, die man beim Erstellen und Veröffentlichen digitaler Lehrformate beachten muss?

Zunächst einmal muss man natürlich ein bisschen die Angst davor ablegen, dass das Wort nicht nur in einer Sekunde gesprochen und in der nächsten vorbei ist, sondern dass es vielleicht einen Moment länger bleibt. Es gibt einzelne Dozenten, die ihre Vorlesungen zwar online bereitstellen, aber nach ein paar Tagen wieder herunternehmen. Davor muss man einfach ein bisschen die Scheu ablegen. Aber dann würde ich sagen, folgt die Online-Lehre eigentlich keinen anderen Regeln als die klassische Lehre. Man kann genau das machen, was man auch vorher im Hörsaal gemacht hat. Man hat vielleicht ein paar andere Möglichkeiten, wie man das Ganze darstellt. Powerpoint beispielsweise gibt es aber auch im Hörsaal. Vielleicht zwingt einen die digitale Aufzeichnung oder das Live-Streaming einer Vorlesung noch ein bisschen mehr dazu, sich zu überlegen: Wen habe ich da eigentlich vor mir? Wer wird das hören? Weil man nicht die unmittelbare Resonanz von denjenigen da draußen hat.

Zunächst einmal muss man natürlich ein bisschen die Angst davor ablegen, dass das Wort nicht nur in einer Sekunde gesprochen und der nächsten vorbei ist, sondern dass es vielleicht einen Moment länger bleibt.

Das ist ja auch ein Angriffspunkt von Leuten, die der digitalen Lehre eher kritisch gegenüberstehen: Sie sagen, dass Lehre keine Einbahnstraße ist. Online-Vorlesungen werden in der Regel aber im Voraus aufgezeichnet, das Feedback der Studierenden fehlt. Wie stehst du dazu?

Das Feedback kriegt man schon, eben nur nicht so unmittelbar. Wenn ich vor einem Hörsaal stehe und der Hörsaal ist gelangweilt, dann kann ich das sehr schnell in den Gesichtern lesen und merke es vielleicht auch am Lärmpegel im Raum. Das ist in der digitalen Sphäre nicht so. Es kommt etwas indirekter. Man muss es vielleicht auch nochmal extra anregen, dass die Studierenden sich noch einmal melden und gerne auch Feedback geben sollen. Wenn man Live-Streams macht und man bekommt live Fragen rein, dann hört man natürlich schon auch, was verstanden wurde und wo man vielleicht nochmal ein bisschen mehr Details erklären muss. Auch da gibt es Resonanz. Man muss sie nur ein bisschen suchen und man muss sich tatsächlich auch darum bemühen, sie wahrzunehmen.


Aber wenn man live streamt und ein Feld zur Interaktion hat, z.B. wie in Instagram Live-Videos, dann ist häufig auch unglaublich viel Spam dabei. Kann man das Format einer Echtzeit-Kommentarspalte überhaupt für eine Vorlesung nutzen?

Es ist sicherlich riskanter als in der Präsenzvorlesung. Das kann gut, aber auch schief gehen. Wenn es schief geht, dann wird man nicht umhinkommen, die Fragen erst im Anschluss an die Veranstaltung zu beantworten. Es gibt auch diejenigen, die nach der Vorlesung eine halbe Stunde lang noch einmal eine Art Nachhall machen, wo sie sich dann nur den Fragen der Studierenden widmen. Aber klar, es ist ein bisschen anders als in einer Vorlesung. Allerdings, wenn du jetzt von Spam sprichst, ganz ehrlich, auch in der Vorlesung wird manchmal Spam gefragt. Und damit möchte ich mich nicht lustig machen über scheinbar dumme Fragen, denn die meisten Fragen sind schließlich irgendwie schlau oder gut gestellt. Aber es gibt manchmal auch einfach Fragen, in denen es mehr darum geht, überhaupt gefragt zu haben. Auch das muss man irgendwie kanalisieren. Es ist nicht so, dass man in der Präsenzvorlesung völlig frei davon ist, die Fragen mühevoll für alle gewinnbringend zu verwerten.


Eine angenehme Begleiterscheinung von Vorlesungen ist das ganze Drumherum. Ich verabrede mich mit meinen Freunden, trinke davor einen Kaffee, gehe danach in die Mensa. Wie siehst du die Zukunft der digitalen Lehrangebote? Werden diese auch in Zukunft immer nur eine Ergänzung sein, oder denkst du, dass die die Corona-Krise dazu führt, dass die Online-Lehre die Präsenzlehre vollständig ablösen wird?

Ich sehe den Punkt mit dem Kaffee. Ich habe zwar gelernt, jetzt in der Corona-Zeit, dass man den Kaffee daheim so machen kann, dass er einem gut schmeckt. Aber dieses soziale Miteinander, das auch für das Lernen wichtig sein kann, das ist natürlich schwieriger, wenn man sich nicht im echten Leben trifft, keine Frage. Ich denke nicht, dass die traditionellen Vorlesungen ihren Platz verlieren werden, sondern natürlich werden die Studierenden, sobald sie dürfen, wieder gerne an die Uni zurückkehren. Ich glaube trotzdem, dass die Online-Lehre nicht wieder verschwinden wird. Einmal auf Seiten der Lehrenden, aber auch auf Seiten der Studierenden haben das jetzt viele auf dem Schirm. Insofern wählen sie dann in Zukunft vielleicht etwas bewusster, welche Möglichkeiten sie anbieten bzw. wahrnehmen möchten. Als ich seinerzeit studiert habe, habe ich mich oft aus Pflichtbewusstsein in Vorlesungen hineingequält, obwohl ich wusste, dass mir sie nichts bringen werden. Jemand, der heutzutage dieses Gefühl hat, wird in Zukunft viel eher nach Alternativen Ausschau halten, die besser zu ihm passen, vor allem natürlich online. Das finde ich nicht schlecht.


Also würdest du sagen, es besteht einfach in Zukunft ein breiteres Angebot? Wer Lust hat, kann diese Formate on Demand nutzen und frei wählen, was er hört und wen er hört?

Ich glaube ja. Deswegen werden jetzt keine Hörsäle leer bleiben, die bisher voll waren. Die Befürchtung habe ich nicht. Es ist eher ein weiterer Mosaikstein. Es gibt auch bisher viele Leute, die nicht zu den Vorlesungen gehen, weil sie mit dem Medium der traditionellen Vorlesungen wenig anfangen können, und die stattdessen Lehrbücher durcharbeiten. Und warum nicht diesen Menschen einfach nochmal ein zusätzliches Angebot machen?


Im Gegensatz zu den meisten Professoren, die im nächsten Semester wahrscheinlich ihre Vorlesungen nur uniintern bereitstellen, stellst du deine öffentlich zur Verfügung. Warum machst du das?

Ich mache das letztlich deswegen, weil ich glaube, dass sich auch Studierende jenseits der Universität, an der ich gerade bin, dafür interessieren. Wenn Interesse da ist und es mich nichts kostet, das Interesse zu befriedigen, mache ich das natürlich gerne.


Wird es bei öffentlich zugänglichen Lehrformaten nicht zwangsläufig einen Verdrängungswettbewerb geben? Also könnte es dazu kommen, dass die Grundlagen des Zivilrechts am Ende nur noch von Professor Lorenz vermittelt werden und andere Dozenten keine Zuhörer mehr bekommen?

Ich glaube, die Geschmäcker sind am Ende des Tages durchaus verschieden. Natürlich gibt es diejenigen, die mehr im Trend liegen, und andere, die weniger im Trend liegen werden. Einmal von den Personen, andererseits aber auch von den Medien her. Es mag auch diejenigen geben, die das Ganze als Wettbewerb begreifen. Letztendlich werden aber vor allem diejenigen, die Lust haben, ihre Lehre digital bereitzustellen, das auch tun. Dann wird es für viele dieser Angebote eine Nachfrage geben. Die wird nicht bei allen Angeboten gleich hoch sein, aber das würde ich deswegen nicht sogleich als Verdrängungswettbewerb bezeichnen. Die Präferenzen ändern sich über die Zeit, Vorlesungen veralten auch. Wenn sie nicht aktualisiert werden, dann kommt vielleicht jemand anders, macht es auf einmal ganz anders oder es gibt zwei Jahre später ganz andere Medien. Da ist so vieles im Fluss. Ich glaube, das bleibt insgesamt ein sehr bewegliches System. Da muss niemand Angst haben, jetzt irgendwie an den Rand gedrängt zu werden.


Also hättest du jetzt keine Bedenken, dass sich das Ganze zuspitzt? Im digitalen Zeitalter gibt es häufig Marktmechanismen, die dazu führen, dass am Ende wenige Gewinner dastehen. Aber im Fall der Lehre ist das nicht so?

Ich denke, im Ansatz kann das so sein, aber nicht in jeglicher Rigorosität. Und ich glaube, wenn es tatsächlich zu einem Wettbewerb kommt, dann wird dieser eher zwischen verschiedenen Fakultäten stattfinden als zwischen einzelnen Lehrpersonen. Häufig ist es ja so, dass große, alte, ehrbare Fakultäten nicht viel Werbung machen müssen. Da kommen immer genügend Studierende. Aber für kleinere Fakultäten kann die Digitalisierung vielleicht eine echte Chance sein, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Leute, die auf den Podcast einer bestimmten Fakultät stoßen und sich diesen anhören, denken vielleicht, dass es eine gute Idee sein könnte, an dieser Uni zu studieren: Das ist eine agile Fakultät, die gegenüber moderner Methodik aufgeschlossen ist. Dass es Unis oder Fakultäten gibt, die versuchen, die Digitalisierung zur eigenen Profilbildung zu nutzen, ist sicher schon heute so. Dieser Trend durch die von der Corona-Krise erzwungene Digitalisierung dürfte sich weiter verstärken.


Warum bieten sich digitale Lernplattformen und Formate für die juristische Ausbildung so gut an?

Ich glaube nicht, dass die juristische Ausbildung die einzige Ausbildung ist, bei der digitale Lehre sehr sinnvoll ist, aber sicherlich ist sie dafür besser geeignet als andere. Ich bin kein Mediziner, aber ich könnte mir vorstellen, dass bei der medizinischen Ausbildung doch auch manches am menschlichen Körper studiert werden muss und damit manches, wenn es denn technisch dargestellt werden soll, sehr viel schwieriger zu machen ist als bei uns Juristen, die vor allem Sachverhalte studieren und Gesetze anwenden. Das ist ein Material, das man relativ einfach digitalisieren kann. Deswegen sind wir Juristen sicherlich diejenigen, die bei der Digitalisierung des Studierens auch ein Stück weit vorangehen können.

Das ist ein Material, das man relativ einfach digitalisieren kann. Deswegen sind wir Juristen sicherlich diejenigen, die bei der Digitalisierung des Studierens auch ein Stück weit vorangehen können.

Gerade was das Jurastudium angeht, stehen die Universitäten auch in Konkurrenz zu privaten Anbietern. Die klassische Frage, die sich jeder Jurastudent am Ende seines Studiums stellt, lautet: Gehe ich zum kommerziellen Repetitor oder besuche ich das universitäre Angebot? Viele entscheiden sich für den kommerziellen Repetitor. Würdest du sagen, dass durch die Digitalisierung vielleicht auch eine Chance besteht, das universitäre Angebot noch einmal zu verbessern?

Sicherlich! Es gab vor vielleicht zehn Jahren eine Welle, die dahin ging, die Examensvorbereitung an den Universitäten wesentlich strukturierter anzugehen, eigene Programme aufzulegen und das sehr weit zu professionalisieren, um sich nicht zu viel Wasser von den Repetitoren abgraben zu lassen. Es gibt durchaus Grund zu der Annahme, dass die Unis die damals geschaffenen Examensvorbereitungsprogramme durch Digitalisierung nochmal weiter professionalisieren können. Soweit ich sehe, sind die Repetitoren in diesem Bereich noch nicht die größten Pioniere aller Zeiten. Sie lassen noch Raum dafür, dass die Unis hier vielleicht sogar mal den Repetitorien ihre Grenzen aufzeigen. Also, wenn ich eine Uni wäre, würde ich diese Chance sofort ergreifen.


Da gibt es ein Beispiel, UniRep Online der Uni Münster. Mehrere Universitäten haben anschließend mit Münster kooperiert und nutzen dieses Format auch. Ich sehe da eine Chance: Mehrere Fakultäten tun sich zusammen und der positive Skaleneffekt führt zu einer weiteren Professionalisierung der Lehrplattformen. Sie werden einheitlicher, zugänglicher, besser. Wie siehst du das?

Nach allem, was man vom UniRep Online hört, ist das wirklich ein Angebot, das die Studierenden an den beteiligten Fakultäten sehr zu schätzen wissen und für das sie dankbar sind. Da ist auch viel Arbeit und Zeit der Beteiligten hinein geflossen. Gleichzeitig kann man sich natürlich fragen: Sollte man ein solches System vielleicht sogar für Studierende anderer Fakultäten, die vielleicht auch daran interessiert wären, öffnen? Ich habe einen leichten Verdacht, dass die Zukunft eher in offenen Systemen liegen wird, weil die Leute vielleicht auch eher bereit sein werden, zu offenen Systemen beizutragen, wenn sie sich schon die Mühe machen, ein aufwändiges digitales Lehrprogramm zu gestalten. Dann wollen sie es vielleicht nicht nur für die Studenten von drei oder vier Fakultäten zugänglich machen, sondern einer möglichst breiten Nutzerzahl Zugang dazu gewähren. Das ist etwas, was ich bei UniRep Online noch nicht sehe, aber wer weiß, wo die hinsteuern werden…


War das vielleicht auch deine Motivation Vorlesungen als Podcast für alle zur Verfügung zu stellen? Außerdem stellst Du auch immer wieder Werke von dir Open Access zur Verfügung; bist du ein Verfechter dieser Bewegung?

Ich würde nicht sagen, dass ich jegliches Pro und Contra in Bezug auf Open Access bis ins Detail durchdrungen habe. Da gibt es ja durchaus Leute, die mit Verve in beide Richtungen streiten. Aber ich finde Open Access irgendwie gut. Ich mache das sehr gerne, soweit diejenigen, die da mitspielen müssen – das sind teilweise eben die juristischen Verlage – das zulassen. Manche machen es anders. Es gibt auch einige, denen der Open Access nicht so wichtig ist. Die verschicken dann z.B. Sonderdrucke ihrer Veröffentlichungen an diejenigen, die in diesem Rechtsbereich an Kommentaren mitwirken. Das ist eine andere Methode der Wissenschaftskommunikation, auch wenn es jetzt nicht so meine ist.


Im kommenden Semester bietest du eine Lehrveranstaltung zur Digitalisierung im Zivil- und Zivilverfahrensrecht an. Magst du uns kurz erklären, was uns in dieser Veranstaltung erwartet?

Ich möchte dafür sensibilisieren, wie viele interessante, neue Sachverhalte es durch die Digitalisierung gibt, einerseits im Zivil-, andererseits im Zivilverfahrensrecht. Da ist sehr viel Examensrelevantes dabei. Meine Vermutung ist, dass diese Digital-Sachverhalte bisher in der juristischen Lehre noch ein bisschen untergewichtet werden. Da möchte ich jetzt einfach mal eine Veranstaltung nutzen, um das gefühlte Untergewicht ein bisschen auszugleichen und einmal nur Digitalisierung zu machen. Diese Veranstaltung könnte man nutzen, wenn man nochmal im Schnelldurchlauf eine Wiederholung – z.B. fürs Examen – des Zivil- und Zivilverfahrensrechts machen möchte. Da werden jetzt nicht alle examensrelevanten Probleme vorkommen, aber vieles wird dann doch wiederholt werden und eben mit einem speziellen Digitalbezug. Aber man könnte diese Veranstaltung z.B. auch besuchen, wenn man sagt, ich bin jetzt angehender Doktorand und suche nach Themen, die neu sind und über die es sich lohnt, länger nachzudenken. Es können natürlich auch Erstsemester sein, die sagen, wir wollen mal schauen, wie fortschrittlich dieses Jura so ist. Da bin ich, was die Teilnehmer dieser Vorlesung angeht, völlig offen.


Also würdest du sagen, dass es zwar neue Phänomene sind, aber eher klassische Rechtsfragen? Oder sind da auch neue Rechtsfragen?

Sicherlich auch neue Rechtsfragen. Also wenn ich z.B. darüber nachdenke, ob eine künstliche Intelligenz eine neue Art juristischer Person sein könnte. Aber es ist keine neue Methodik und es sind auch keine Rechtsprobleme, die die Welt nie gesehen hat. Das sind neue Sachverhalte, die sich im Wesentlichen mit den Mechanismen des geltenden Rechts lösen lassen.


Magst du vielleicht einen kleinen Beispielsfall nennen, der Inhalt dieser Vorlesung sein könnte?

Zum Beispiel kann man sich fragen, was Software mit physischen Gegenständen so alles machen kann. Inwieweit kann ich z.B. das Kaufrecht auf Gegenstände anwenden, die auf einmal mit einer Software ausgestattet sind und mit anderen Geräten interagieren; Stichwort "Internet der Dinge". Und was passiert, wenn der Softwarecode nicht zu dem passt, was vereinbart war? Ist die Sache dann mangelhaft? Oder was passiert, wenn die Verkäuferin mir den Gegenstand per Softwarezugriff sperrt, weil ich eine Rate nicht gezahlt habe? Das ist aber wirklich nur ein kleiner Ausschnitt von vielen spannenden Themen.


Du hast bereits eine Vorlesung zum Thema Legal Tech gehalten. Das sollte man von deinen vorherigen Erläuterungen trennen. Dabei ging es mehr um die juristische Beurteilung digitaler Vorgänge. Legal Tech könnte man dagegen eher als Einsatz von Technik zur Durchführung juristischer Tätigkeiten sowie Erbringung juristischer Dienstleistungen definieren. Kannst du vielleicht in ein paar Sätzen erklären, was du deinen Hörern in einer Legal Tech-Vorlesung vermitteln willst?

Ich wollte zunächst einmal Legal Tech an die Uni holen, weil ich den Eindruck hatte, dieses Phänomen findet an der Uni erst mal nicht statt, man denkt dort nicht über die damit zusammenhängenden Fragen nach. Das sind nicht nur unternehmerische Fragen aus dem anwaltlichen Bereich, sondern gerade auch sehr handfeste zivilrechtliche, zivilverfahrensrechtliche und rechtstheoretische Fragen. Zugleich hatte ich den Eindruck, dass Legal Tech etwas ist, was uns in den nächsten Jahren sehr beschäftigen wird, weil es die Art und Weise, wie wir Konflikte lösen, sehr fundamental verändern wird. Deswegen gehört das auch an die Uni. Und es ist tatsächlich interessant, es liegt jetzt schon zwei Jahre zurück, dass ich diese Vorlesung gehalten habe – sie ist auf YouTube natürlich immer noch abrufbar – aber viele, oder zumindest manche der Fragen, die wir uns damals gestellt haben, haben tatsächlich inzwischen auch schon zu viel beachteten Rechtsstreitigkeiten geführt. Zum einen etwa die Inkassoerlaubnis für Legal-Tech-Dienstleister, zum anderen die Frage, ob ein großes Verlagshaus einen Subsumtionsautomaten betreiben darf. Das erste ist gerade frisch vom BGH entschieden, die zweite Frage hängt im Moment in der zweiten Instanz. Irgendwie bin ich ein bisschen stolz darauf, dass wir schon vor zwei Jahren über diese Fragen diskutiert haben, und ich glaube, manch andere Frage, über die wir damals gesprochen haben, kommt noch vor die Gerichte. Juristen tun gut daran, auch heute schon einen Blick in die Zukunft zu werfen.


Zum Schluss möchte ich gerne noch einen Blick in die Glaskugel mit dir werfen: Wie siehst du die Zukunft der Digitalisierung in der Juristenausbildung? Wir waren gerade schon dabei, dass du das Thema an die Uni holen wolltest. Wie wird es weitergehen in den nächsten Jahren an der Uni – und auch im Referendariat?

Ich glaube, dass wir durch das, was wir im Sommersemester 2020 erleben, einen Sprung in der Entwicklung der digitalen Lehre nach vorne machen werden. Das ist jetzt durch äußere Umstände so gekommen. Trotz aller Probleme, die diese Entwicklung mit sich bringt, finde ich, dass es ein guter Effekt ist. Ich freue mich darüber. Wir haben eben schon drüber gesprochen; ich glaube, das wird einfach den Werkzeugkasten von Dozenten erweitern und damit die Auswahlmöglichkeiten der Studierenden vergrößern. Das wird für viel gutes Feedback sorgen. Der ein oder andere wird vielleicht auch hinterfragen, was er bisher gemacht hat und wie er das jetzt irgendwie updaten oder auch von der Lehrmethode her aktualisieren kann. Das sind, glaube ich, alles sehr, sehr gute Dinge, gerade für moderne Universitäten. Die juristische Ausbildung mündet letztendlich natürlich in Prüfungen und ins Examen und da gab es jetzt im letzten Jahr schon viele Diskussionen darüber, wie weit man auch das digitalisieren kann. Das war bisher ein schleppender Prozess. Ich weiß nicht, ob dieser Prozess jetzt durch Corona so wahnsinnig vorangetrieben wird. Aber auch da werden wir in den nächsten Jahren an den Universitäten die ersten E-Klausuren sehen und auch mehr und mehr Prüfungsämter beobachten, die versuchen werden, ein Staatsexamen elektronisch schreiben zu lassen. Vielleicht auch mit ganz anderen Hilfsmitteln, als wir sie bisher kennen, also nicht mithilfe eines Schönfelders, sondern dann vielleicht mithilfe der großen juristischen Datenbanken. Damit das passieren kann, müssen oder können auch viele zusammenwirken, sicherlich die juristischen Fakultäten selbst, aber natürlich auch die Prüfungsämter; aber gerade auch die Studierenden. Es gibt mittlerweile an mehreren deutschen Fakultäten Digital-Initiativen wie eLegal Göttingen. Aus meiner Sicht bündelt ihr das Interesse der Studierenden und tragt es irgendwie nochmal mit einer besonderen Betonung an die Lehrenden heran. Das kann sehr helfen, die Sache mit der Digitalisierung voranzubringen.


Das heißt, dass wir das Thema einfach weiter vorantreiben sollen. Wie könntest du als Hochschullehrer weiter dazu beitragen?

Ich glaube, jeder, der an der Universität lehrt, wird diese Digitalthemen gerade jetzt mehr und mehr auf sein Tableau mitnehmen, also wird sich vielleicht fragen, ob der nächste Fall nicht vielleicht einer mit Softwarebezug sein kann. Es kommt ja auch einiges vom Gesetzgeber. Von der Europäischen Union gab es im letzten Jahr zwei Richtlinien zum Verbrauchsgüterkauf und zu digitalen Inhalten. Von daher kommen diese Themen auf einmal ins Prüfungsprogramm mit rein. Das steht demnächst im Kernstoff des BGB drin. Das müssen Hochschullehrer dann auch in ihr eigenes Lehrprogramm übernehmen. Die Kooperation mit den besonders interessierten Studierenden ergibt sich dann von selbst. Wen kann man vielleicht mal an die Uni einladen, dass sie oder er mal einen Vortrag hält? Wie kann man Veranstaltungen konzipieren, in denen diese Digitalbezüge eine besondere Bedeutung bekommen? Und eben auch: Welche digitale Lehre ist gut? Was machen die anderen? Was kann ich daraus für mich lernen? Das würde ich, um es nochmal zu betonen, nicht nur als Wettbewerb sehen, sondern auch als ein gemeinsames kreatives Spiel, wie man die Lehre insgesamt verbessern kann.


Ich selbst empfinde uns Juristen als eher konservative Branche. Müssen wir nicht gemeinsam den Leuten auch ein Stück weit die Angst vor der Digitalisierung nehmen?

Ich glaube, Berührung hilft Ängste zu überwinden. Wenn ich Angst habe, auf einen hohen Turm zu steigen, ist es etwas Gutes, wenn ich vielleicht in Begleitung mit jemand anderem auf diesen hohen Turm steige und dabei lerne, mit dieser Furcht umzugehen. In Bezug auf die Digitalisierung hoffe ich aber, dass es bei den meisten unserer Zeitgenossen nicht so schlimm ist.


Ich habe das Gefühl, das teilweise mehr Angst als Freude für die Veränderung besteht.

Die Angst wird sich vielleicht mehr oder minder automatisch dadurch legen, dass es selbstverständlicher werden wird, mit diesen Sachverhalten zu arbeiten, weil man daran nicht mehr vorbeikommt. Der zweite Punkt, der bei manchen sicherlich auch mitschwingt, ist ein gewisses Maß an Kritik, also dass man nicht alles hinnehmen möchte, was sich da draußen in diesem Internet abspielt. Stichwort: Datenschutz. Das erleben wir jetzt bei den Diskussionen rund um Zoom, weil man nicht weiß, wo die Daten überall vorbeikommen. Ich glaube, diese kritische Grundhaltung sollten wir Juristen beibehalten und gerade die Leute ernst nehmen, die Kritik äußern. Das sind rechtliche, häufig auch grundrechtliche Probleme, über die müssen wir gemeinsam nachdenken und das wird spannend sein.


Aktuelle Beiträge zur Thematik:

Martin Fries:

https://www.talentrocket.de/karrieremagazin/details/trotz-corona-jura-studieren (01.04.2020)

https://community.beck.de/2020/04/01/das-abc-der-digitalen-lehre (01.04.2020)

Spektor/Yuan: Digitalisierung in der Juristenausbildung , NJW 2020, S. 1043 (02.04.2020)

https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fzeits%2FNJW%2F2020%2Fcont%2FNJW.2020.1043.1.htm


Gregor Laudage

Das Interview führte Gregor Laudage. Gregor studiert derzeit im Schwerpunkt an der Göttinger Universität und arbeitet nebenbei als studentische Hilfskraft am Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften.

 
Vincent GrafMartin Fries