"Für Technologie gibt es keine Brownie Points"

 

In den meisten Kanzleien werden Managemententscheidungen von Anwälten getroffen. Nur wenige stellen sich die Frage, ob das überhaupt sinnvoll ist. Venture-Capital Branchenprimus Schnittker Möllmann Partners geht mit Hariolf Wenzler einen anderen Weg. Dieser kennt die Welt der Anwälte mittlerweile so gut, als wäre er selbst einer von ihnen. Nach einem Jahrzehnt als Geschäftsführer der Bucerius Law School, hat der ausgebildete Volkswirt sich der ambitionierten Aufgabe verschrieben, zunächst Baker McKenzie und jetzt SMP zu digitalen Vorreitern zu machen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, welche Herausforderungen die Arbeitswelt der Zukunft bereit hält und wie Kanzleien und Arbeitnehmer darauf reagieren können.  - Steffen Kootz


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Hariolf Wenzler ist promovierter Volkswirt und war zuletzt bei Baker McKenzie für die europäische Geschäftsentwicklung verantwortlich. Er war zehn Jahre lang Geschäftsführer der Bucerius Law School, ist Gründer und Vorstandsmitglied der European Legal Technology Association (ELTA) und Initiator des ersten Legal Innovation Hubs in Kontinentaleuropa - reinvent.law. Seit einem Jahr ist Hariolf Wenzler als CEO von Schnittker Möllmann Partners für die Professionalisierung der Kanzlei verantwortlich. 


Sie sind bei Schnittker Möllmann Partners (SMP) als CEO für die Erschließung neuer, angrenzender Geschäftsfelder zuständig, unter anderem durch Investitionen in Legal Tech Tools. Wie sieht Ihre Rolle im Arbeitsalltag aus?

Ein wesentlicher Teil meiner Aufgabe besteht im Management einer schnell wachsenden Kanzlei. Das ist eine Herausforderung für sich, weil das schnelle Wachstum Strukturen erfordert, für die sich Unternehmen bei der Entwicklung normalerweise viel länger Zeit lassen. Wir müssen das alles innerhalb relativ kurzer Zeit aufstellen, um über unsere Standorte hinweg und über wachsende Praxisgruppen hinweg auf hohem Niveau arbeiten zu können. Das Besondere bei SMP ist vielleicht, dass diese Managementaufgabe in die Hand eines Nichtjuristen gelegt wurde. Bei Anwälten sind die Opportunitätskosten des Managens sehr hoch. Unsere Anwälte und Steuerberater sind wahnsinnig gut darin, Mandanten zu beraten und können sich darauf fokussieren. Das war eine bewusste Entscheidung der Kanzlei hinsichtlich der Professionalisierung der internen Abläufe. Ich wüsste jedenfalls keine Kanzlei, die das in dieser Weise schon vollzogen hat. Da sind wir vielleicht auch Vorreiter.

Der zweite Teil, den Sie erwähnt haben: Das Erschließen neuer Geschäftsfelder. Das ist etwas, was wir jetzt in den Blick nehmen. Wir sehen, dass es eine ganze Reihe von Themen gibt, bei denen Geschäftsfelder in der Beratung entstehen, die bislang innerhalb einer klassischen Kanzlei nicht abgebildet werden können. Teilweise, weil sie gewerblich sind und zum Teil auch, weil sie die Zusammenarbeit von Juristen und Nichtjuristen erfordern. Wir wollen Wege finden, bei erkennbaren Problemen von Mandanten Beratungsfelder erschließen zu können, der rechts und links der eigentlichen Kanzlei liegen. Die Vorgaben des Regulators wollen wir nicht verletzen, gleichzeitig aber auch Opportunitäten nicht liegen lassen. Das ist Teil der Aufgabe für 2020.


Schnittker Möllmann Partners (SMP) ist eine Kanzlei auf den Spezialgebieten Steuer- und Wirtschaftsrecht. Zu den Mandanten zählen Start-ups, mittelständische Unternehmen, Konzerne sowie Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds. SMP hat sich im Juni 2017 als Abspaltung von Flick Gocke Schaumburg gegründet und hat derzeit 100 Mitarbeiter an den Standorten Berlin, Hamburg und Köln.


Die SMP-Gründer sehen „moderne Kanzleien als Unternehmen, die professionell geführt und unternehmerisch weiterentwickelt werden müssen“. Ist das eine Rolle, die von Juristen übernommen werden kann oder benötigen wir an dieser Stelle zwangsläufig die Kompetenz ausgebildeter Ökonomen?

Traditionell läuft es ja in Kanzleien so, dass das Management von Anwälten mit erledigt wird - in unterschiedlicher Ausprägung. Juristen können gute Manager sein, dafür ausgebildet sind sie nicht. So hat jede Kanzlei eine Partnerversammlung, wenn sie als Partnerschaft organisiert ist und häufig auch einen geschäftsführenden Partner. Und den haben wir auch. Schon deshalb, weil es ihn aus berufsrechtlichen Gründen geben muss. Ich als Ökonom bin auch nicht Partner der Partnerschaftsgesellschaft im technischen Sinne - weil das deutsche Berufsrecht das nicht vorsieht. Man kann so tun als ob, kann es rechtlich aber nicht verbind-lich durchsetzen. Ich würde sagen, dass dies eine Einschränkung für das Entwicklungspotenzial einer Anwaltskanzlei ist. Gerade mit Blick auf die Zukunft besteht der eigentliche Mehrwert häufig darin, unterschiedliche Kompetenzen zusammenzubringen. Es betrifft nicht nur die Themen Management und Unternehmensführung, bei denen man sagen würde, dass vielleicht ein Kaufmann oder eine Kauffrau besser geeignet ist. Es betrifft auch die Tatsache, dass es Anwälten bisher nicht erlaubt ist, mit Informatikern, Data Analysts und mit Ingenieuren zusammenzuarbeiten. Das sehen unsere berufsständischen Regelungen nicht vor. Anwälte dürfen Partnerschaften nur mit Anwälten und Steuerberatern eingehen. Das ist für die Nutzer, wenn man es sich aus Mandantenperspektive betrachtet, langfristig ein Hindernis. Viele Lösungen, die auf juristische Probleme antworten, werden künftig aus komplexeren Dienstleistungen bestehen. Dabei wird die juristische Arbeit einen wesentlichen Anteil ausmachen, aber nicht alleine stehen. Die „Alternative Business Structures (ABS)“ in Großbritannien erlauben eine sehr viel weitere Auslegung und erlauben es Juristen, auch mit Nichtjuristen zusammenzuarbeiten. Wir sehen insbesondere im Londoner Markt, was es da mittlerweile an Kanzlei-Typen und Entwicklungen gibt, von denen wir sagen, dass sie aus Mandantenperspektive ganz hervorragend sind. In Deutschland wären sie verboten.


Alternative Business Structures (ABS)

Alternative Business Structure (ABS) steht für eine neue Art von Rechtsberatungsunternehmen. Anders als Kanzleien organisieren sich ABS wie klassische Unternehmen: Nicht-Juristen können Anteile am Unternehmen halten, Investoren investieren. Die Strukturierung als ABS erlaubt es Rechtsberatungen, sich von regulatorischen Berufsrecht zu lösen, um mit neuen Geschäftsmodellen auf fortschrittliche Weise am Wirtschaftsverkehr teilzunehmen. In Großbritannien sind ABS seit 2007 als „Legal Entity“ anerkannt.


Gerade bei der Optimierung kanzleiinterner Prozesse werden sich die Verantwortlichen mittelfristig der Frage stellen müssen, ob die Kanzlei zukünftig weniger Berufsträger beschäftigen wird. Was ist Ihre Einschätzung? Werden Projektmanager und IT-Experten den Juristen an der Schnittstelle ablösen?

Ich habe in meinem früheren Leben viele Juristen Dinge machen sehen, von denen ich sagen würde, dass sie ein Jurist eigentlich nicht tun sollte. Also repetitive Aufgaben, die Anwälte unterfordern, oder Aufgaben, die tatsächlich auch der Natur nach bei Anwälten nicht gut aufgehoben sind. Dinge, die sich dann die Juristen irgendwie auch angeeignet haben, wo man aber weiß, dass sie das nur deshalb machen, weil es eine Aufgabe ist, die in der Kanzlei landete und die da irgendwie auch jemand machen muss.

Viel klüger wäre es, das in einer arbeitsteiligen Struktur anders zu organisieren. Ein echter Hemmschuh ist aber, dass man den Mandanten nur Juristen und Steuerberater in Rechnung stellen kann. Deshalb haben sich Kanzleien so entwickelt, dass Juristen Projekte managen, Excel-Tabellen pflegen oder auch irgendwelche technologischen Anwendungen aufsetzen. Eigentlich wäre es aber offensichtlich viel effizienter, wenn man das arbeitsteilig machen würde. Und man sieht bei den großen internationalen Anwaltskanzleien, dass es geht. Bei Baker McKenzie, und daran erinnere ich mich sehr gut, gibt es Innovation und Legal Services Centers in Belfast und in Tampa (Florida) sowie ein Shared Services Center in Manila. Da arbeiten Six Sigma Experts, Process People, Projektmanager, Data Analysts und Legal Designer zusammen an Projekten und sortieren die erstmal in einer ganz anderen Art und Weise. Dort werden Mandate danach strukturiert, was im Bereich des Consulting liegt, wo Legal Operations Consulting Prozesse optimieren und was davon Technologie erfordert?

Danach steht fest, was davon eigentlich Legal Content ist. Themen, bei denen wirklich Anwälte gefordert sind, die sich mit den Regularien auskennen, sie interpretieren und gemeinsam mit Prozess- und Technologieexperten eine Lösung erarbeiten, die am Ende eine rechtliche Frage beantwortet - die am Ende aus einem viel komplexeren Produkt bestehen kann als einem Schriftsatz, der über 80 Seiten in Word getippt wurde.


Baker McKenzie ist eine multinationale Großkanzlei mit einem Umsatz im Jahr 2018 von über 2,8 Mrd. €. Die Kanzlei beschäftigt über 6000 Anwälte und ist mit 78 Büros in 46 Ländern weltweit vertreten. Davon arbeiten ca. 200 Anwälte in insgesamt vier Büros in Deutschland - Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main und München. Baker McKenzie wurde 1949 in Chicago gegründet und ist seit 1962 in Deutschland tätig. Tätigkeitsschwerpunkt ist die Beratung von Unternehmen und Institutionen auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts.


Das klingt jetzt erstmal nach einer guten Ergänzung der anwaltlichen Arbeit. Würden Sie sagen, dass Kanzleien dann tatsächlich irgendwann weniger Anwälte anstellen?

Das kann ich nicht sagen, ich bin kein Prophet. Was ich aber sagen kann ist, dass es keinen Mangel an Arbeitsplätzen für hochqualifizierte Juristen gibt. Alles, was wir in den letzten Jahren gesehen haben, hat dazu jedenfalls nicht geführt. Und wenn ich mir ansehe wie große Kanzleien händeringend gute Leute suchen, dann würde ich sagen, dass der Bedarf offenbar immer noch sehr groß ist.


Wie viel Überzeugungsarbeit muss aus Ihrer Sicht generell geleistet werden, wenn es darum geht, neue Methoden in das Kanzleiumfeld zu bringen? Methoden wie das Design Thinking. Wie groß sind die Widerstände? Und wie ist Ihre Herangehensweise, wenn Sie so etwas in einer Kanzlei etablieren wollen?

Ich glaube, da gilt die klassische Antwort der Juristen: Es kommt drauf an. Das hat natürlich etwas mit dem Alter der Kanzlei, dem Alter der Partner und mit grundsätzlicher Aufgeschlossenheit zu tun. Es gibt sicher Kanzleien, die sich damit schwertun: Entweder entspricht es nicht ihrem Verständnis oder sie beraten in einer Industrie, in der so etwas noch gar keine Rolle spielt oder als neumodisches Zeugs abgetan wird. Mit unserer Kanzlei sind wir in einer Industrie unterwegs, in der wir fast alle großen Venture Capital Investoren bei Investitionen in Start-ups beraten. Ihnen sind wir sehr nahe, sodass ein innovatives Mindset hier niemanden erschreckt. Im Gegenteil: Die Frage ist hier eher, welche Möglichkeiten sich dadurch für uns bieten und wie wir uns in der Art zu arbeiten an das anpassen können, was bei unseren Mandanten Standard ist. Bei vielen Fragen überlegen wir uns nicht, wie andere Kanzleien das machen. Wir orientieren uns einfach per se schon an einem anderen Markt und nicht am Markt der herkömmlichen großen Kanzleien. Ich glaube, das macht einen wesentlichen Unterschied.


Bei vielen Fragen überlegen wir nicht, wie andere Kanzleien das machen. Wir orientieren uns an einem anderen Markt.

Würden Sie sagen, dass gerade die vielleicht noch junge Geschichte und die überschaubare Größe Ihrer Kanzlei ein ganz starker und im Alltag bemerkbarer Vorteil ist, wenn es darum geht, Dinge anders und neu zu machen? Weil Sie vielleicht auch gerade von Anfang an schon Personen eingestellt haben, die bereit sind, diesen Schritt auch mitzugehen?

Absolut. Es gibt drei Argumente, die den großen Unterschied machen: Das eine ist logischerweise das "No Legacy"-Thema. Hinzu kommt, dass man bei einem Neuanfang nicht der Versuchung unterliegen muss, es genauso zu machen, wie die anderen. Eine Sache, die die Kanzlei hier ganz sicher richtig gemacht hat, ist zu sagen: Wir geben uns sechs Kernwerte, die uns auszeichnen und wir messen unsere Entwicklung am Einhalten und Vorleben dieser Werte. Das Dritte ist die Bereitschaft, sich ständig zu hinterfragen und einem ständigen Realitätscheck zu unterwerfen. 


Wahrscheinlich ist es nicht Ihre Kernaufgabe. Können Sie uns trotzdem einen groben Einblick geben, worauf Sie ganz konkret achten, wenn die Kanzlei neue Juristen anstellt? Müssen sie beispielsweise schon einen Schritt weiter sein und bereits vorab in einem digitalen Arbeitsumfeld gearbeitet haben, bevor sie zu SMP kommen?

Sie müssen jedenfalls Lust darauf haben. Wir ziehen Leute an, die auch zu großen Kanzleien gehen könnten, die sich aber bewusst für uns entscheiden. Häufig, weil sie die Kombination aus sehr anspruchsvollem Jura - das ist das, was wir bieten und auch verlangen - und einer anderen Art des Arbeitens in einem modernen, digital geprägten Umfeld als hochattraktiv empfinden.


Ein Kernaspekt Ihrer Strategie während der vorherigen Tätigkeit bei Baker McKenzie war der Ansatz, die benötigte Software nicht selbst programmieren zu wollen, sondern sich für jedes Einsatzgebiet jeweils die passendste Anwendung von externen Anbietern zu suchen. Machen Sie das bei SMP jetzt auf die gleiche Art und Weise? Aus welchen Gründen haben Sie sich für die Strategie "Buy not Build" entschieden?

Beim Aufbau vom SMP haben wir zunächst alle Prozesse definiert, dokumentiert und visualisiert. Wir haben ein Prozesshandbuch erarbeitet und wissen deshalb genau, was wir machen. Das hört sich jetzt irgendwie alles sehr logisch an. Was denn sonst? Aber ich wüsste keine Kanzlei, die das in dieser Form dokumentiert hat. Die Folgefrage ist dann, für welchen der Prozesse es intelligente Technologien gibt, die die Abläufe effizienter oder intelligenter machen. So arbeiten wir in fast allen Bereichen mit typischerweise cloudbasierten Softwarelösungen, die diesen spezifischen Teil abbilden können. Für die Rechnungsfreigabe, im Personalbereich, für die Zeiterfassung, für Billing und Invoicing. Alles ist digitalisiert, damit der Prozess im Wesentlichen durch eine Technologie erledigt werden kann.

Erst im dritten Schritt überlegen wir, wer die Aufgabe übernimmt. Auf diese Art und Weise stellen wir sicher, dass wir für viele Themen relativ wenige Leute brauchen die dann aber hoch qualifizierte „Process Owner“ sind.

Was das Thema Software betrifft: Vielleicht wird es Anwendungen geben, bei denen wir auch irgendwann Software erstellen müssen. Aber nicht aus der Kanzlei heraus und nicht mit Juristen, die die Software programmieren oder programmieren lassen. Da habe ich noch nichts gesehen, was ich wirklich als erfolgreich bezeichnen würde. Ganz ausschließen würde ich es nicht, ich glaube aber, dass es für viele Dinge einfach Angebote auf dem Markt gibt, deren intelligente Kombination Sinn macht.


Wie muss man sich das Team vorstellen, das bei Ihnen diese Prozesse analysiert und schaut, ob es dafür entsprechende Lösungen auf dem Markt gibt? Das werden ja vermutlich keine Juristen sein.

Die Kompetenz dafür hat unsere IT und unser Operations Team, hier arbeiten Partner und Manager Hand in Hand entlang der Fragen: Welches Ziel wollen wir erreichen? Welche Prozesse sind dafür nötig? Was davon kann man digitalisieren? Haben wir die richtige Software dafür?


Konkret zu den Tools, die Sie im Bereich Legal Tech zum Einsatz bringen. Beispielsweise bei der automatisierten Dokumentenerstellung.

Das meiste evaluieren wir gerade. Beim Nutzen intelligenter Vorlagen sind wir gerade dabei. Wir stellen aber auch fest, dass es nicht nur um Tools innerhalb der Kanzlei geht, sondern eben auch um Märkte, die außerhalb entstehen. Für diese Fälle wollen wir dann außerhalb der Kanzlei, aber mit ihrem Knowhow, Produkte entwickeln, die wir heute noch nicht haben.


Sie haben damals die Idee zur Gründung des Branchenverbands ELTA von einem Kongress aus den USA mitgebracht haben. Jetzt im Austausch vor dem Interview haben Sie mir wieder aus dem Silicon Valley geschrieben. Was genau haben Sie dort gemacht?

Wir haben ein paar Unternehmen besucht, die im Bereich Legal Tech unterwegs sind, waren am LexLab der UC Hastings und am CodeX Center for Law and Informatics in Stanford. Manches muss man sich eben vor Ort ansehen. Dort passiert einfach vieles. Gleichzeitig merkt man, dass vieles, was dort funktioniert, hier nicht funktionieren würde. Every jurisdiction is different. Das macht das Thema Legal Technology für Investoren so schwierig. Es gibt nur selten wirklich skalierbare Tools, die über alle Kontinente und Rechtsgebiete hinweg funktionieren. Was in Deutschland funktioniert, funktioniert zwar vielleicht noch in Österreich, in der Schweiz wird es dann schon schwierig. In Holland ist es dann aber definitiv anders, weil die Sprache sich ändert und weil andere Vorschriften und Zulassungsregeln gelten. Die Gründung für ELTA kam allerdings tatsächlich aus der Wahrnehmung heraus, dass es eine internationale Assoziation für Legal Technology gab und gibt, die aber um Kontinentaleuropa immer einen Bogen gemacht hat. Aus wahrscheinlich bekannten Gründen. Deren einzige Aktivität in Europa war eine Konferenz in London. Impulsgebend war die Erkenntnis, dass es auf dem Kontinent doch eine ganze Reihe von Ländern gibt, in denen das Thema Legal Tech wirklich anfängt zu wachsen und zu blühen. Wir wollten dafür eine Plattform schaffen, um einen Austausch über Landesgrenzen hinweg zu ermöglichen.


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Die European Legal Technology Association (ELTA) wird als ehrenamtliche Vereinigung geführt und ist ein peer-to-peer Netzwerk aus gleichgesinnten und unabhängigen Legal-Tech Experten sowie Enthusiasten aus ganz Europa. ELTA zielt seit ihrer Gründung im Jahre 2016 darauf ab, eine weithin bekannte und etablierte Expertenorganisation, Denkfabrik für Rechtstechnologie und juristische Innovation zu sein. Insbesondere soll ELTA eine Plattform speziell für die Förderung von Wissen über und die mögliche Anwendung von Technologie- und Software-unterstützten Lösungen im Rechtsmarkt (Rechtstechnologie) in ganz Europa und darüber hinaus werden ebenso wie eine starke Interessenvertreterin ihrer Mitglieder.


Eine wichtige Aufgabe bei Ihren Tätigkeiten für Baker McKenzie war es und bei SMP ist es, den Markt für Legal Tech Lösungen laufend zu sondieren. Würden Sie sagen, dass ihr Engagement für ELTA dabei helfen konnte?

Ja, ganz sicher. Das geht schon damit los, dass man den Kopf ein bisschen weiter aufmacht und aus den anderen Ländern Menschen kennenlernt und von Lösungen erfährt, die man nicht sehen würde, wenn man sich auf die Web-Recherche oder den heimischen Markt alleine beschränken würde.


Und wie schätzen Sie unsere Situation in Deutschland im internationalen Vergleich ein? Wie weit sind wir im Bereich Legal Tech oder generell bei der Digitalisierung in Kanzleien? Wie stehen wir da?

Das hängt ein bisschen davon ab, was man als Vergleichsmaßstab nimmt. Ich glaube der fortschrittlichste Markt ist der englische. Durch den Legal Services Act von 2007, der Einführung der Alternative Business Structures, der Möglichkeit, Fremdkapital in Kanzleien und damit auch in Technologie zu investieren und in der Möglichkeit eben auch mit Nichtjuristen zusammenzuarbeiten, hat sich eine Industrie entwickelt, die bis in die Anwaltskanzleien hinein funktioniert. Das liefert eine viel stärker unternehmerische Perspektive auf das, was Anwaltskanzleien oder Legal Service-Provider im weiteren Sinne dort anbieten.

Das hat sicher auch kulturelle Hintergründe. Die Engländer sind, wenn sie Jura studieren, nicht so akademisch wie wir Deutschen. "Law is a means of making business" in England. Nach dem Bachelor in History studiert der oder die eine Business and Economics und wird Investmentbanker und die oder der andere studiert Law und wird Corporate Lawyer. Dann treffen sich beide wieder, wenn es um eine große Finanzierung geht und machen eigentlich das Gleiche. Der eine mit den Mitteln der Finanzinstrumente und der andere mit den Mitteln des Rechts.

Das ist in Deutschland ja deutlich anders. Ich glaube, dass bei uns zwei Hindernisse für das schnellere Entwickeln hinzukommen: Das eine ist der angesprochene Regulator, der eben vieles noch verhindert und verbietet. Und das zweite ist die Ausbildung, die von interessierten Juristen besondere Klimmzüge erfordert, die alle für das Bestehen eines Examens überhaupt nicht relevant sind und die in der Ausbildung auch überhaupt nicht wertgeschätzt werden. In Deutschland kann man ein sehr gutes Examen schreiben, ohne eine Fremdsprache zu erlernen, ohne einen Computer bedienen zu können und ohne mit einem anderen Menschen zu sprechen. 

Mit anderen Worten: In Deutschland wählt man eine Ausbildung, die auf digitale Kompetenzen, Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeit überhaupt keinen Wert legt. Aber man muss sich natürlich schon fragen, wie eine Ausbildungsordnung aussehen würde, die auf das antworten würde, was am Ende in der Arbeitswirklichkeit tatsächlich gefragt wird. 


Reinvent Law ist ein Legal Innovation Hub, das an der Zukunft der Rechtsberatung und deren digitalen Herausforderungen arbeiten will. Im Workingspace, der Mitte des Jahres 2018 in Frankfurt eingeweiht wurde und nach Angaben der Gründungsväter der erste seiner Art in Kontinentaleuropa ist, sollen Kanzleien, Rechtsabteilungen, Legal-Tech-Unternehmen und Bildungseinrichtungen neue Denkstrukturen und Produkte entwickeln, also „Denkblockaden“ abbauen und agiles Arbeiten lernen sowie innovative Technologien testen. Es gibt regelmäßige Events, Meetups und Hackathons.


Da haben Sie die perfekte Überleitung geschafft zum letzten Themenblock - Ihrer Tätigkeit für die Bucerius Law School. Sie ist dafür bekannt, das Studium um zusätzliche Lehrinhalte zu ergänzen, die den Horizont der Studenten erweitern. Dazu zählen neben wirtschaftswissenschaftlichen Begleitveranstaltungen auch eigene Legal Tech Kurse. Warum tun sich die staatlichen Universitäten schwer damit, vergleichbare und attraktive Angebote zu schaffen?

Zunächst einmal weiß ich gar nicht ob die These stimmt. Denn was ich in der letzten Zeit sehe und ich spreche gerade mit jemandem…


Das kommt von den Studenten. Das ist ja ein Unterschied würde ich sagen...

Ja, aber: Zunächst einmal sehe ich, dass aus studentischer Initiative viel passiert. In Müns-ter, in München, in Göttingen, in Frankfurt, in Berlin und an vielen anderen Universitäten. Da passiert mehr, als man glaubt. Zweite Bemerkung: Auch bei Bucerius war das nicht aus der Fakultät getrieben. Ich glaube das ist keine Frage von staatlich oder nichtstaatlich. Ich glau-be bei Bucerius war dann der glückliche Umstand, dass es Möglichkeiten gab, daraus auch tatsächlich mehr zu entwickeln. Was wahrscheinlich mit der Rolle der Studierenden bei Bucerius zu tun hat, die einfach einen starken Einfluss auf die Gestaltung der Hochschule haben. So sind dann die Legal Tech Lectures entstanden. Und es hat sich weiterentwickelt bis zur Summer School in Legal Tech und dem Legal Tech Zertifikat, das man studienbeglei-tend erwerben kann.


Meine nächste Frage wäre gewesen, wie es der Bucerius gelungen ist, so frühzeitig den „Trend“ Legal Tech zu erkennen. Würden Sie sagen, dass es im Endeffekt Zufall war, dass das bei Ihnen auch deutlich früher als an anderen Universität der Fall war?

Ich glaube, es fiel einfach auf einen fruchtbaren Boden, weil klar war, dass das ein Thema wird und weil es an dieser besonderen Hochschule eben immer auch Raum gibt, solche Dinge zu entwickeln. Es liegt vielleicht an der Verfasstheit der Hochschule, dass insgesamt mehr unternehmerische Initiative vorhanden ist. 


Noch eine letzte Frage: Wir haben sehr intensiv darüber gesprochen, wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändern wird und was das für Arbeitnehmer in Kanzleien bedeutet. Wenn Sie sich jetzt folgendes Szenario vorstellen würden: Ihre Kinder haben sich dazu entschieden, Jura zu studieren. Welchen Karriere-Tipp würden Sie ihnen für diese Arbeitswelt der Zukunft mit auf den Weg geben? Gar nicht Jura studieren?

Der erste Teil der Antwort: Ich würde niemanden davon abhalten, Jura studieren zu wollen. Für Eltern ist es eigentlich das Schönste zu merken, dass die eigenen Kinder suchen und finden, was gut zu ihnen passt. 

Ich würde aber zwei Fragen stellen. Die eine ist: Willst Du wirklich das lernen, was im Lehrplan steht – im Bewusstsein, alles andere „nebenbei“ lernen zu müssen? Die zweite: Bist Du Dir im Klaren darüber, wie lange das Studium dauert? Insbesondere, weil sich die Welt durch Bachelor und Master in anderen Bereichen sehr stark verändert hat, ist Jura ein sehr langer Weg. 

Und wenn es dann Jura sein soll, würde ich natürlich den Fokus auf die Dinge legen, die im Lehrplan nicht auftauchen: International kulturell breit aufgestellt sein und verstehen, wie Technologie funktioniert. Und natürlich die Themen emotionale Intelligenz, Teamfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit. Ich glaube, dass Juristen dabei am Ende sehr gut sein können und sehr gut sind.


Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!


Steffen Kootz

Dieses Interview wurde von Steffen Kootz geführt. Steffen studiert im sechsten Semester an der Göttinger Georg-August-Universität. Neben seinem Studium arbeitet er in einer internationalen Großkanzlei in Hannover und begleitet eine Lehrveranstaltung zum Thema Legal Tech.