"Es passiert einiges unter der Oberfläche."

 

Noch vor wenigen Jahren als nerdige Spinnerei abgetan, hat sich Legal Tech mittlerweile zu einem regelrechten Hype ausgewachsen. Dabei herrscht nach wie vor oft Unkenntnis darüber, was genau "Legal Tech" eigentlich ist, was es kann und was nicht. Gernot Halbleib erzählt uns, dass diese Gemengelage oft zu chaotischen Zuständen führt, wenn es darum geht, Legal Tech in bestehende Strukturen zu integrieren. In diesem Interview sprechen wir mit ihm über Dinge, die anderes laufen müssten, erfahren, was wir uns aus anderen Ländern abschauen können und erhalten außerdem Einblicke in die Entstehung eines der ersten Legal Tech-Fachbücher.  - Jari Kohne


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Dr. Gernot Halbleib studierte Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School und der New York University. Nebenher lebte er sein technisches Interesse in einer selbständigen Tätigkeit im Bereich Webdesign und Internetprogrammierung aus. Nach seiner Promotion und dem Referendariat war er, unter anderem als Gründer und Geschäftsführer, in mehreren IT-Start-Ups tätig. Im Jahre 2014 machte er sich als Legal-Tech-Berater selbstständig und berät seitdem Anwaltskanzleien, Unternehmen und Rechtsabteilungen im Bereich Legal Tech. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied des Legal Tech Verband Deutschland und Mitherausgeber des 2018 erschienenen Standardwerks Legal Tech – Die Digitalisierung des Rechtsmarkts.


Du bist Legal Tech Berater. Wie ist es überhaupt dazu gekommen? Und wie muss man sich das vorstellen, was Du da so machst?

Ja, das ist ein ziemlich neuer Beruf beziehungsweise ein ganz neues Berufsfeld, und ich nenne es eben Legal Tech Berater, weil ich selbstständig tätig bin im Legal Tech-Bereich. Meine Säulen sind in erster Linie das Projektmanagement und die Strategieberatung.

Da geht es darum, mit Kanzleien und Rechtsabteilung rauszukriegen, wo man Legal Tech in der jeweiligen Tätigkeit gut einsetzen kann und vor allem auch, wie man das priorisieren sollte; wo man anfangen muss, welche Budgets man braucht, damit man am Ende gut funktionierende Tools hat. Oft münden solche Aufträge dann auch in konkrete Umsetzungsprojekte, wenn es darum geht, Software rauszusuchen, die es am Markt gibt und zu gucken, wie sich die am besten implementieren lässt. Teilweise unterstütze ich Rechtsabteilungen auch über einen längeren Zeitraum bei der Implementierung von Tools selbst. Und manchmal werden Tools auch individuell entwickelt, entweder durch interne Entwickler, die mache Kanzleien – und zum Teil auch Unternehmen – mittlerweile schon haben. Oder eben durch externe Agenturen. Ich selbst programmiere in solchen Projekten normalerweise nicht, dafür kann ich es nicht gut genug.

Ich bin eher auf der Projektmanagement- und Produktmanagement-Seite tätig. Das heißt, ich spezifiziere ganz oft, was die Anforderungen sind, die dann von den Entwicklern umgesetzt werden sollen. Und da sehe ich auch meine Stärken, weil ich so ein bisschen aus beiden Richtungen komme. Als Jurist bringe ich Verständnis dafür mit, was die Fachexperten eigentlich mit ihrer Legal Tech-Anwendung erreichen möchten und was das braucht. Gleichzeitig habe ich aber auch ein bisschen technische Erfahrung. Bevor das mit der Legal Tech-Beratung losging, war ich schon als Freelancer im IT-Bereich tätig. Außerdem habe ich seit meiner Jugend nebenbei mit Webprogrammierung Geld verdient und später ein paar Jahre in Internet-Start-Ups gearbeitet und konnte da in konkreten Projekten viel Erfahrung sammeln. Dadurch spreche ich auch die Sprache der Entwickler. Zumindest so gut, dass sie mich verstehen und ich sie auch. Und das ist etwas, das ich einigen Juristen dann auch ein Stück weit voraus habe. Das sind eben Kompetenzen, die in vielen Kanzleien und Rechtsabteilung leider noch fehlen. Gerade wenn man am Anfang von Legal Tech steht, dann stellen die meisten nicht gleich einen Legal Engineer ein, sondern für erste Projekte lohnt es sich dann auch, Freelancer einzukaufen.


Legal Tech

Legal Technology, kurz Legal Tech, steht für Software und Online-Dienste mit rechtlichem Bezug. Gleichzeitig ist Legal Tech sinnbildlich für den Einzug der Digitalisierung in der juristischen Branche. Der Begriff ist weit zu verstehen - er bewegt sich von unterstützenden Verwaltungstools, Automatisierungstools wie Vertragsgeneratoren und digitalen juristischen Plattformen bis hin zu Online-Rechtsdienstleistungen für Verbraucher. Die Technologie verspricht eine Effizienzsteigerung von Rechtsabteilungen, Kosteneinsparungen und leichteren Zugang zu Rechtsschutz für Bedürftige.


Bei den vielen verschiedenen Kunden, die Du berätst, hast Du sicherlich einen ganz guten Überblick. Wie ist Dein Eindruck von der momentanen Legal Tech-Entwicklung in Deutschland insgesamt?

Also es passiert sehr, sehr viel. Aber es ist wenig sichtbar. Das ist auch für mich ein bisschen ein Problem, denn als Legal Tech Berater versuche ich natürlich immer, auch möglichst viele Beispiele zeigen zu können. Letztendlich finde ich da auch immer wieder welche.

Aber es ist viel weniger öffentlich bekannt, als in Kanzleien tatsächlich schon gemacht wird. Da geht es häufig um interne Maßnahmen, die vielleicht für sich genommen nicht ganz so spektakulär sind, aber in der Summe schon einen Effekt haben.

Oder um tatsächliche digitale Produkte, die Kanzleien entwickelt haben, die aber noch unter dem Radar laufen; vielleicht erstmal an eigene Mandanten vertrieben werden. Man hält sich da bewusst zurück, ohne ein großes Rad drehen zu wollen, um keine Wettbewerber anzuziehen und so weiter. Also da ist einiges, was unter der Oberfläche passiert. Und deswegen sehe ich eine Diskrepanz zwischen dem, was öffentlich an konkretem Legal Tech bekannt ist und dem, was es tatsächlich schon gibt.

Andererseits gab es in der letzten Zeit den Legal Tech-Hype, der jetzt nach meiner Wahrnehmung schon wieder am Abflauen ist. Da kamen, ausgelöst durch Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, auf einmal viele Juristinnen und Juristen auf die Idee, sich mal mit Legal Tech zu beschäftigen. Das hat vielfach zur Enttäuschung geführt, weil man da sehr, sehr viel erwartet hat. Viel mehr, als manche Tools zum damaligen und auch zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht hergeben würden. Auch hier gibt es also eine große Diskrepanz; und zwar zwischen Erwartungen und dem, was möglich ist. Ich denke, das sich das in der nächsten Zeit annähern wird. Die Erwartungen werden kleiner werden. Das, was möglich ist, wird – durch bessere Technologien und mehr Softwareanbieter – größer. Man wird noch weniger selbst entwickeln müssen, um wirklich marktfähige Produkte oder marktfähige Anwendungen zu bauen, die auch tatsächlich funktionieren.

Das ist der eine Trend und der andere Trend wird sein, dass viel von dem, was jetzt noch im Stillen entwickelt und teilweise auch schon ausprobiert wird, an die Oberfläche kommt. Das wird dann bei vielen auch eine Schrecksekunde auslösen, denn viele Anwälte spüren einfach noch nicht, dass sich am Markt durch die Digitalisierung etwas ändert. Man kann das absehen, man kann das prognostizieren, aber es ist einfach noch nicht spürbar. Und wie in anderen Branchen auch wird dieser Moment wahrscheinlich eher plötzlich kommen.


Jetzt hast Du schon ganz viele Sachen gesagt, an die ich direkt anknüpfen könnte; fangen wir hiermit mal an: Es gibt eine Studie, die ist jetzt schon etwas älter, von 2018. Da heißt es, 70% der Rechtsabteilungen in Unternehmen halten die Einführung von Legal Tech bei sich für unverzichtbar. Aber nur 3% arbeiten tatsächlich schon an oder mit entsprechenden Lösungen. Ist das noch aktuell, wenn – wie Du sagst – soviel unter der Oberfläche passiert? Und wenn ja, wie erklärst Du Dir da die Diskrepanz?

Die Studie kenne ich auch. Ich glaube, die ist noch ziemlich aktuell. Die Grundtendenz der Aussage hat sich nicht verschoben. Jetzt sind es vielleicht nicht drei Prozent, sondern sechs oder zehn, die an Lösungen arbeiten. Da hat sich schon etwas getan. Es gibt übrigens noch eine weitere Studie aus 2020. Da haben die nochmal ein bisschen anders gefragt, vor allem auch europaweit. Zu dieser neuen Studie habe ich auch eine Analyse verfasst. Und es ist sehr interessant zu sehen, wie viele Unternehmen glauben, eine Legal Tech-Strategie zu haben. Das sind dann schon ungefähr die Hälfte der Rechtsabteilungen in den Unternehmen. Aber wenn man weiter fragt, wie viele davon eine Strategie mit konkreten Meilensteinen haben, und wenn man noch weiter fragt, wie viele davon auch noch ein signifikantes Budget haben, dann wird das viel, viel dünner. Der Trend ist also eigentlich immer noch derselbe. Die Notwendigkeit wurde erkannt, vielleicht auch verbunden mit Wunschdenken: „Ja, wir haben doch eine Legal Tech-Strategie.“ Aber das Ganze ist noch relativ weit von der konkreten Umsetzung und von wirklichen Arbeiten an Lösungen entfernt. Wie gesagt, ein paar mehr werden es geworden sein. Nicht mehr nur die knallharten Pioniere, die da was machen, sondern auch ein paar Early Adopter. Aber viel mehr sind es noch nicht. In der großen Masse ist Legal Tech nach meiner Wahrnehmung noch nicht in den Rechtsabteilungen angekommen, zumindest nicht in der operativen Praxis. In der strategischen Ebene sieht es etwas anders aus, da guckt man sich schon auch ein paar Sachen an. Aber die Implementierung steckt da vielfach noch am Anfang.


Gibt es ganz konkrete Gründe, warum das nicht richtig vorangeht?

Ja, es gibt da sehr, sehr viele Gründe für. Die wichtigsten Gründe sind, was jetzt die Rechtsabteilungen angeht, dass vielfach bestimmte Erfolgsfaktoren nicht erfüllt werden. Es ist für Legal Tech-Projekte einfach extrem wichtig, dass man mit einem vernünftigen Budget startet. Dass man also genügend Geld und vor allem genügend Zeit investiert, um ein Legal Tech-Projekt erfolgreich zu machen. Oft herrscht hier die naive Vorstellung, man kauft eine Software und dann wird alles anders. Aber auf dem Weg zu etwas Funktionierendem, das auch etwas verändert, muss einfach eine große Bereitschaft bestehen, auch an der Arbeitsweise etwas zu ändern. Und vorab erstmal sehr viel Zeit in eine Automatisierung oder Standardisierung zu investieren. Das wird ganz häufig unterschätzt. Selbst wenn der Wille und der Wunsch nach Veränderung und Digitalisierung da sind, heißt es deswegen noch lange nicht, dass es letztlich auch gelingt. Da gehen viele eher halbherzig dran.

Gleichzeitig sehe ich einen Trend zu großen Visionen, dass man also versucht, irgendwie sofort ganz dicke Bretter zu bohren und damit dann häufig auch an den realen Begebenheiten scheitert.

Aber selbst, wenn es sehr fitte IT-Abteilungen in den Unternehmen gibt, haben die meistens überhaupt keine Kapazitäten. Denn aus dem Tagesgeschäft der Unternehmen heraus, also aus den Einheiten, die tatsächlich Umsatz bringen, gibt es auch sehr wichtige IT-Anforderungen. Und die haben im Zweifel immer Vorrang gegenüber den Anforderungen aus der Rechtsabteilung. Die ist nämlich nur ein Cost Center, kein Profit Center, und als Cost Center auch eher ein kleines. Es gibt also ganz viele andere Prioritäten in Unternehmen, für die man wertvolle Ressourcen auch sinnvoll priorisieren kann. Und deswegen ist es für Rechtsabteilungen extrem schwer, sich hier gegenüber anderen Abteilungen durchzusetzen. Das heißt, selbst mit guten Ideen, Ansätzen und Strategien wartet man teilweise sehr lange, bis tatsächlich was passiert; selbst bei kleinen Projekten. Und das sind dann natürlich frustrierende Erlebnisse für die Beteiligten, die dazu führen, dass man vielleicht nicht so schnell vorankommt, wie man das eigentlich gerne hätte.


Aber wäre es nicht erstmal ein Zwischenschritt, anstatt zu versuchen, was ja – soweit ich das beurteilen kann – vor allem Anwaltskanzleien machen, alles selbst zu entwickeln, erstmal auf Lösungen, die ja von Start-Ups mittlerweile zuhauf angeboten werden, zurückgreift?

Das versuchen Rechtsabteilungen auch immer wieder, auch das scheitert an teilweise sehr langsamen Freigabeprozessen in der IT. Ich habe schon War Storys gehört, dass es trotz optimal vorbereiteter Vorschläge und einer sehr guten Kooperation mit den Start-Ups teilweise Monate bis Jahre dauert, bis die Entscheidung durch ist, in einem großen Unternehmen eine bestimmte Software anzuschaffen. Man kann da nicht einfach mal eine Cloud-Lösung abonnieren, geschweige denn irgendetwas im System installieren. Sondern da hat man sehr langwierige Runden zu drehen. Und wer mit so etwas im Konzern noch keine Erfahrung hat, tut sich damit teilweise schwer. Was oft besser funktioniert, ist, dass man sich Lösungen entwickeln lässt und dafür aber nicht interne Ressourcen nimmt, sondern sich Budgets freigeben lässt, die man dann investieren kann, autonom und selbstständig. Das ist eine Empfehlung, die ich gerne auch Rechtsabteilungsleitern gebe.

Man kann zudem versuchen, mit Sandbox-Lösungen zu arbeiten, also mit isolierten Anwendungen, die jetzt noch nicht unbedingt in die unternehmensinternen Systeme integriert werden müssen. Da geht es erstmal darum, überhaupt eine bestimmte Software einsetzen zu dürfen. Dass die unternehmenseigenen Systeme natürlich geschützt und abgeschirmt werden müssen, ist ganz klar. Deswegen kann man sich aber, wenn die Implementierung eben eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, auf diese Weise eine Art Testlabor einrichten, indem man als Rechtsabteilung quasi autonom schalten und walten kann. Und wenn man dann etwas findet, das wirklich funktioniert, dann kann man es im nächsten Schritt mit mehr Zeit immer noch vollständig integrieren.

Aber wenn man das alles auf einmal lösen möchte, dann dauern die Projekte einfach ewig. Und dann stellt man sich irgendwann auch noch hinten in eine Reihe von Leuten, die irgendwelche SAP-Erweiterungen haben möchten und damit ist oft Schicht im Schacht.


Es ist auch so, dass die Lösungen, die man sich einkaufen kann, sehr spezialisiert sind. Die können oft nur eine bestimmte Aufgabe erfüllen und deshalb brauche ich dann mehrere Lösungen, um alles abzudecken, was ich eigentlich machen will. Wie sieht das denn mit der Kompatibilität aus? Ist das noch eine weitere Hemmschwelle?

Ja, das ist auf jeden Fall eine Hemmschwelle. Wenn ich jetzt nicht nur vereinzelt, sondern für fünf Tools diesen ganzen Hürdenlauf unternehmen muss, macht es das natürlich nicht einfacher. Und gleichzeitig ist es ein allgemeines Problem, dass viele dieser Tools noch nicht optimal sind, vor allem, was Schnittstellen zu anderen Systemen angeht. Und dann ist auch der Mehrwert begrenzt, den ich erreichen kann, wenn ich diese Programme anschaffe und meine Daten dann jedes Mal händisch von einem System ins andere übertragen muss.


Haben die Unternehmen und Kanzleien überhaupt eine Strategie und wissen, was genau sie erreichen wollen, wenn sie sich Legal Tech ins Haus holen; was sich da genau verbessern soll? Oder läuft das eher nach dem Motto: „Das machen jetzt alle“?

Viele orientieren sich an dem, was andere machen und fragen danach. Das ist teilweise bestimmt eine sinnvolle Abkürzung. Aber wirklich zielführend ist es selten. Man muss bei Legal Tech schon sehr genau wissen, was man will und wie man damit auch ein Return on Investment bekommt. Also wie sich das Investment, das man an Zeit und Geld reinsteckt, auch irgendwann mal rentiert.

In der Rechtsabteilung heißt das, ich muss dadurch letztlich Arbeit sparen beziehungsweise einfache Arbeit sparen, um wieder Ressourcen für wichtigere Themen freizusetzen; ich muss einfach insgesamt effizienter und schneller werden. Bei all den wachsenden Aufgaben muss ich das schon relativ konkret benennen können, um letztlich auch die richtigen Argumente zu haben, damit ich so etwas durchkriege. Im Unternehmen auf der einen Seite und auch umgekehrt, um für sich selbst die Motivation zu haben, so etwas auch durchzuziehen und sich den ganzen Stress anzutun. Diese Motivation ist das, was man haben muss, um eine Legal Tech-Lösung wirklich erfolgreich zu machen. Also einfach mal schnuppern und angucken und ausprobieren. Das kann ein Weg sein, um sich dem ganzen zu nähern. Aber wenn das schon mit großen Hürden verbunden ist, dann ist es umso wichtiger, eine klare Strategie zu haben, um zu wissen: „Wo will ich hin?“ Neben der Strategie braucht es aber auch ein ganz klares, konkretes Projekt mit einem sehr gut absehbaren Return on Investment, damit ich sinnvoll starten kann.


Eben haben wir schon über Start-Ups gesprochen, deren Produkte sich an Kanzleien und Unternehmen richten. Wie ist es denn überhaupt um die Zukunft dieser Start-Ups bestellt, wenn die zwar parat stehen, aber eigentlich keiner so richtig deren Lösung haben will?

Also es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Wenn man einen langen Atem hat, auch über viele Monate hinweg, dann wird das funktionieren. Die Dynamik ist dann eben nicht ganz so schnell wie vielleicht in anderen Bereichen, aber am Ende ist es nicht so, dass man immer damit scheitert. Es wird jedoch ein längerer Weg sein, bis man meint, eine ausreichende Marktdurchdringung erreicht zu haben. Aber mit einem langen Atem und einem guten Finanzierungspolster wird das auch Start-Ups gelingen, in die Systeme von großen Konzernen zu kommen. Das hat auch schon geklappt. Aber es ist natürlich nicht einfach.

Eine interessante Entwicklung in diesem Zusammenhang kommt aus England und aus den USA. Dort gibt es ein Projekt, das heißt Reynen Court. Da haben sich Kanzleien für eine eigene IT-Plattform zusammengeschlossen, um darauf bestimmte cloudbasierte Angebote sicher zu hosten. Wenn dann diese Umgebung einmal im Unternehmen integriert ist und diesen ganzen Approval-Prozess durchgemacht hat und als sichere Umgebung gilt, kann man eigentlich alles, was auf dieser Umgebung angeboten wird, als Rechtsabteilung sehr leicht buchen und einbinden. Das ist wie so eine Art App-Store für Legal Tech. Es ist noch ziemlich am Anfang, aber für mich schon ein sehr interessanter Trend, wenn es solche Plattformen gibt. Durch sie wird die Adaption von Legal Tech deutlich leichter und vor allem hätten auch kleinere- und Nischenprodukte eine Chance auf den Zugang zu einem großen Markt, ohne im Einzelfall riesige Hürden überschreiten zu müssen.


Das wäre jetzt also ein Beispiel aus England und den USA. Sind andere Länder, was Legal Tech angeht, generell schon weiter als wir?

Klar, auf jeden Fall in England und den USA sind viele Entwicklungen schon weiter vorangeschritten. Initiiert eigentlich schon von der Finanzkrise 2007/2008, wo viele Kanzleien bereits angefangen haben, sehr auf die Kosten zu gucken und in effizienzsteigernde Maßnahmen zu investieren. Das heißt, bestimmte Überlegungen haben schon deutlich länger Vorlauf als das in Deutschland der Fall war. Gleichzeitig gibt es auch teilweise bessere, weiter fortgeschrittene Software, die erstmal in diesen Märkten zuhause ist, aber dann irgendwann auch darüber hinaus vertrieben wird.

Aber es ist nicht so, dass es diese Möglichkeiten in Deutschland nicht gäbe. Man hat schließlich Zugriff auf dieselben Technologien, die man eventuell geringfügig anpassen muss. Ein spezielles Thema ist aber zum Beispiel künstliche Intelligenz, wo es darauf ankommt, dass die Software in einer bestimmten Sprache trainiert worden ist. Wenn ich da Tools aus dem englischsprachigen Raum nehme, sind natürlich die verantwortlichen Anwender, aber auch die ganzen Trainingsdokumente zum großen Teil englischsprachig. Auf Deutsch müssten die Tools dann teilweise erst noch mühsam trainiert werden. Das ist vielleicht so ein Unterschied, wo man wirklich technologische Unterschiede hat, aber ansonsten ist der Markt wahrscheinlich einfach weiter und vielleicht etwas kompetitiver. Das heißt, das Mindset ist bei vielen Anwaltskanzleien in England oder den USA durch andere wirtschaftliche Rahmenbedingungen, vielleicht auch einfach aus der Not heraus, schon ein bisschen weiter und offener in Richtung Digitalisierung.


Erkennst Du da, abgesehen von der Plattform, die Du gerade schon angesprochen hast, ganz konkrete Potentiale, die hier noch überhaupt nicht abgerufen werden?

Nicht wirklich, aber das lässt sich meistens auch nicht an ganz konkreten Einzelbeispielen festmachen. Die Frage ist eher: Wie weit ist das Mindset und was lässt das schon erkennen? Und da sind große Einheiten, vor allem amerikanisch geprägte große Einheiten, insgesamt deutlich weiter. Die haben schon mehr Tools. Wenn man sich in Deutschland mit Leuten aus Unternehmen oder Kanzleien, die in den USA beheimatet sind, über ihre Software-Landschaft unterhält, die das amerikanische Mutterschiff mitbringt, ist das teilweise phänomenal, was die schon alles in ihre Systemlandschaft integriert haben. Das ist ein Unterschied. Aber es ist jetzt nicht so, dass man sagen würde, die haben jetzt dieses Tool oder diese Software, diese Technologie, die es in Deutschland einfach noch nicht gibt oder die nicht funktioniert. Sondern den Unterschied machen einfach viele kleine Einzelmaßnahmen und einzelne Erkenntnisse, die dort schon länger gereift sind.


Kommen wir zum nächsten Thema. Wir haben jetzt schon über verschiedene Akteure gesprochen. Du bist auch Vorstand beim Legal Tech-Verband. Wen genau vertretet ihr da?

Wir sind Sprachrohr für alle die, die mit Legal Tech etwas erreichen und den Rechtsmarkt progressiv gestalten wollen. Das richtet sich nicht nur an Legal Tech-Start-Ups, an die man vielleicht zuerst denken könnte, sondern genauso an Legal Tech-Kanzleien und auch an Akteure, die am Rechtsmarkt noch aus einer anderen Richtung kommen. Dazu gehören Rechtsschutzversicherungen und Prozessfinanzierer, aber auch Content-Anbieter, also zum Beispiel Verlage, die mit digitalen Geschäftsmodellen am Rechtsmarkt etwas erreichen möchten. Und deswegen ist es eine relativ breite Plattform für all diejenigen, die Legal Tech positiv gegenüberstehen und damit tatsächlich auch erfolgreich Geld verdienen wollen.


Und was genau macht ihr? Was sind eure Ziele oder wo versucht ihr, Einfluss zu nehmen?

Es geht um politische Arbeit in Berlin und teilweise auch in Brüssel. Also darum, konkrete Gesetzgebungsvorhaben mitzugestalten. Wenn zum Beispiel das Rechtsdienstleistungsgesetz reformiert wird oder Regelungen zu Inkassodienstleistern reformiert werden. Wir wollen mit Stellungnahmen die Stimme der Legal Tech-Akteure im Gesetzgebungsverfahren repräsentieren und versuchen gleichzeitig ganz klassische Lobbyarbeit zu leisten, dass also wichtige Legal Tech-Themen auf die politische Agenda kommen. Das ist der politische Bereich.

Wir wollen aber auch einen Austausch und eine Vernetzung der Akteure in der Szene fördern. Vor allem wollen wir eine gemeinsame Austauschplattform für ganz unterschiedliche Player bieten, die da zusammenkommen. Wir haben zum Beispiel inhaltliche Angebote, bei denen es zu ganz konkreten Themen Experten, Workshops oder auch einfach Vorträge von Mitgliedsunternehmen gibt. Das sind dann keine Themen, die jetzt nur bestimmte Unternehmen betreffen, sondern alle Legal Tech-Akteure im Allgemeinen. Wir hatten zum Beispiel eine Veranstaltung zum Thema Customer Happiness, also zu der Frage: Wie kriege ich es bei verbraucherbasierten Geschäftsmodellen hin, die Kunden immer so gut informiert zu halten, dass sie jederzeit wissen, wo ein Fall steht und auch über einen langen Zeitraum der Durchsetzung zufrieden und informiert sind?


Zu der politischen Arbeit, die Du angesprochen hast. Eine Sache, die ihr da konkret fordert, ist die Abschaffung des Verbots von Erfolgshonoraren für Rechtsanwälte. Ist denn die heutige Rechtslage – insbesondere was das anwaltliche Berufsrecht angeht – überhaupt geeignet, um die Potentiale von Legal Tech voll ausschöpfen zu können?

Man muss sich, wenn man im Legal Tech mit innovativen Angeboten wirklich etwas bewegen will, leider immer noch in zu viele Grauzonen begeben. Teilweise wird dann mit Hilfskonstruktionen gearbeitet. Diese ganze Diskussion um die Inkassodienstleister entspringt ja eigentlich nur dem Bedürfnis des Marktes, für Rechtsangebote neue Formen zu finden. Und deswegen ist das eigentlich eine Hilfskonstruktion, die sicherlich irgendwo funktioniert, aber dann doch nicht optimal ist. Aus Sicht der Anwaltskanzleien ist das natürlich ein Wettbewerbsnachteil, wenn es andere Akteure am Markt gibt, die viel mehr dürfen, also zum Beispiel Erfolgshonorare anbieten oder sich eine Venture Capital-Finanzierung reinholen. Umgekehrt müssen Rechtsdienstleister für bestimmte Themen auch wieder auf Anwaltskanzleien zurückgreifen, können also auch nicht alles aus einer Hand anbieten. Und das sind dann natürlich immer Hürden, die die Entwicklung am Markt letztlich auch bremsen. Wahrscheinlich nicht nachhaltig aufhalten, aber erschweren und verlangsamen und bestimmte Geschäftsmodelle vielleicht so schwierig machen, dass sie sich gar nicht etablieren und durchsetzen können.

Deswegen brauchen wir auch, um international wettbewerbsfähig zu sein, ein moderneres Rechtsregime, das die Erbringung von Rechtsdienstleistungen ermöglicht. Und da reicht es auch nicht, an kleinen Stellschrauben zu drehen und schon gar nicht, dass der Gesetzgeber einfach nichts macht, sondern das Ganze der Rechtsprechung überlässt. Es braucht ein Gesamtkonzept, das das Angebot von anwaltlichen und auch nicht anwaltlichen Dienstleistern am Rechtsmarkt gemeinsamen, fairen Regeln unterwirft, die in bestimmten Bereichen, die man liberalisieren will, möglichst für alle einheitlich gelten und die auch dafür sorgen, dass bestimmte Qualitätsstandards eingehalten werden; egal, ob ich als Verbraucher zu einer Anwaltskanzlei oder zum alternativen Angebot gehe.


Ein Thema, über das in puncto Zeitgemäßheit auch oft diskutiert wird, ist die juristische Ausbildung. Wie verbreitet sind nach deiner Beobachtung Legal Tech-Kenntnisse bei den heutigen Studierenden? Und wie präsent ist das Thema überhaupt?

Ich sehe da eine große Präsenz. Vielleicht ist das auch so ein Bias, weil ich viel in der Szene unterwegs bin. Aber ich habe den Eindruck, dass es sehr viele Studierende gibt, die sich auch schon im Studium mit Legal Tech beschäftigen, teilweise mit sehr interessanten Projekten und Ansätzen, aber auch schon mit viel Wissen und Erfahrung. Das ist vielleicht etwas, was im Ganzen gesehen immer noch eine krasse Nische ist. Wenn man jetzt eine Umfrage unter allen Jurastudierenden über ihre Legal Tech-Kenntnisse machen würde, weiß ich nicht, ob da in der Breite so eine Begeisterung vorhanden ist, aber in der Nische auf jeden Fall. Und das ist auch etwas, das sich im Bewusstsein verändert hat. Das habe ich vor fünf Jahren, als ich angefangen habe, mich intensiv mit dem Bereich zu beschäftigen, so noch nicht gespürt, wenn ich in einer Universität mal einen Vortrag gehalten habe. Da waren die Themen alle neu. Und mittlerweile haben diejenigen, die dieses Thema interessiert, die affin sind, ganz andere Möglichkeiten an Zugängen zu der Thematik. Und das ist auf jeden Fall eine sehr gute Entwicklung.


Reicht denn die Nische oder müsste man das Thema auch in die Breite bringen?

Ich glaube, eine Nische reicht, je nachdem, wie groß diese Nische ist. Aber genauso wenig, wie jetzt alle Juristinnen und Juristen programmieren lernen müssen, braucht man meines Erachtens auch keine verpflichtenden Legal Tech-Angebote im Jurastudium, die wirklich tief in Legal Tech reingehen. Was zur Grundklaviatur von Juristinnen und Juristen gehören sollte, ist natürlich ein gewisses IT-Verständnis, was darüber hinausgeht, den Computer als bessere Schreibmaschine zu benutzen. Das trainieren sich aber viele im Studium auch einfach schon an, bei Hausarbeiten oder Seminararbeiten. Wenn man das vernünftig macht, kann man schon eine gewisse Affinität entwickeln.

Das ist aber eher so eine Art digitales Basiswissen. Das läuft jetzt nicht auf die Ausbildung von irgendwelchen Spezialkenntnissen hinaus, sondern ist etwas, das die breite Masse auf jeden Fall haben sollte. Aber der Sprung vom Anwender zum Mitentwickler von digitalen Lösungen, das ist, glaube ich, ein Sprung, den nur relativ wenige Juristinnen und Juristen wirklich machen müssen. Der ist eben auch nicht so einfach. Da braucht es ein gewisses Talent, Affinität und Fleiß und Spaß an der Sache, um diesen Sprung zu schaffen. Aber die Möglichkeiten, das hinzukriegen, sind heute so gut wie noch nie.


Verpflichtende Angebote braucht es also nicht; wie sieht es mit Angeboten aus, die man freiwillig machen kann? Sollte da jede Uni etwas haben?

Um in das Thema reinschnuppern und eine eigene Affinität testen zu können, könnte das geeignet sein. Aber ansonsten glaube ich, sind es eher die praktischen Erfahrungen, die entscheidend sind. Man kann so ein gewisses Basiswissen, das man im Legal Tech braucht, vielleicht auch theoretisch vermitteln. Da gibt es auch an manchen Unis schon Ansätze in Curricula für Zusatzmodule et cetera. Das ist alles überhaupt nicht schlecht. Das kann einem eine Sicherheit geben, sich mal für ein Legal Tech-Praktikum zu bewerben, es kann auch die Chancen dafür erhöhen, aber im Grunde kriegt man auch durch Eigeninitiative, wenn man eine gewisse Affinität mitbringt, die nötigen Basis-Skills, um im Legal Tech-Bereich schon mal etwas eigenständig hinzukriegen.


Ein relativ ausgeprägtes Angebot gibt es, glaube ich, an der Bucerius Law School. Da bist Du, soweit ich weiß, auch mit aktiv. Vielleicht kannst Du mal kurz beschreiben, wie das aufgebaut ist?

An dem Angebot für Studierende bin ich jetzt nicht beteiligt gewesen, sondern nur in der Anwaltsfortbildung. Executive Education nennen wir das an der Bucerius. Ich mache da relativ viel Fortbildungsprogramme intern für Kanzleien, also für Anwälte, die schon im Berufsleben stehen und – teilweise bis zur Partner-Ebene – gezielt in Legal Tech oder Legal Tech-Strategie geschult werden.


Das ist aber also auch eine Möglichkeit, wenn man das in seiner Unizeit überhaupt nicht gehabt hat, aber denkt, man will da jetzt nochmal einsteigen.

Ja, auf jeden Fall. Die Bucerius Summer School, die dieses Jahr virtuell stattgefunden hat, bietet ein ganz, ganz breites Spektrum an Themen an. Da kann man wunderbar mal schnuppern und bestimmte Themen teilweise auch vertiefen.

Ich glaube, so niedrigschwellige Schnupperangebote an den Universitäten sind sehr wichtig und können bei denjenigen, bei denen eine gewisse Begabung und ein Interesse für Legal Tech vorhanden ist, einfach die Lust wecken, mehr zu machen und mehr zu erfahren. Und wenn man diese Lust einmal geweckt hat, kommen viele, glaube ich, auch auf eigene Faust, gut dahinter, was es gibt, was man machen kann und wie man weiterkommt.


Lust an der Technik spielt auch bei Legal Engineers eine große Rolle. Die sind genau an der Schnittstelle zwischen Recht und Technik und Du sagst oft, das Problem ist, dass Juristen und Informatiker nicht dieselbe Sprache sprächen und der Legal Engineer daher eine relativ wichtige Rolle hat. Sollte man in Zukunft gezielt Legal Engineers ausbilden, entweder als Zusatzqualifikation zum Jurastudium oder sogar als ganz eigenen Ausbildungsgang?

Ich kann mir gut vorstellen, dass es das irgendwann mal geben wird. Ich glaube auch hier, dass praktische Erfahrung ein Weg ist, mit dem man deutlich schneller zum Ziel kommt. Wenn man eine gewisse Affinität und Vorkenntnisse besitzt und vielleicht auch schonmal was programmiert hat, dann wird der Einstieg in die Rolle des Legal Engineers in der Praxis relativ leicht fallen. Man muss dafür nicht zwangsläufig einen speziellen Abschluss machen. Ich glaube, wenn man sich theoretisch vorbereiten will auf so eine Rolle, würden Angebote zum Projektmanagement ganz wichtig sein. Ein großer Teil der Arbeit als Legal Engineer ist im Grunde immer Projektmanagement und das kann man sehr gut auch theoretisch vorbereiten. Muss man natürlich auch praktisch lernen, aber da kann man sich den Umgang mit gewissen Tools aneignen, ein Grundverständnis und Grundbegriffe der IT sind auch nicht schlecht, aber das würde ich nicht überbewerten. Wenn man selbst ein gewisses Verständnis mitbringt, dann wird man auch relativ schnell die Sprache der Entwickler lernen. Und das geht am Besten in den praktischen Projekten. Wenn man so etwas an der Uni machen wollte, dann könnte man am ehesten an interdisziplinäre Ausbildungsgänge denken, in denen Leute mit verschiedenen Hintergründen zusammenkommen; mit juristischem, mit eher wirtschaftswissenschaftlichem oder Projektmanagement-Hintergrund, mit IT-Hintergrund oder auch mit Wirtschaftsinformatik oder etwas in der Richtung. Dass man dann ein gemeinsames Programm aufsetzt, mit dem man im Studium schon die Gelegenheit hat, mit den anderen Disziplinen auf Tuchfühlung zu gehen. Es muss darum gehen, die Welten zu verbinden und das klappt nur, wenn man auch lernt, sich in einer Welt zu bewegen, aus der man selber nicht kommt. Das ist an der Uni schwerer zu vermitteln als in echten Projekten.


Dann kommen wir von den angehenden Juristen vielleicht noch einmal zu den Nicht-Juristen. Viele von den Start-Ups, die es gibt, richten sich direkt an Endverbraucher. Wie weit ist es denen eigentlich schon bewusst oder präsent, dass es heute oft einfachere oder günstigere Wege gibt, zu seinem Recht zu kommen, als den Anwalt?

Aktiv bewusst ist es, glaube ich, noch relativ wenigen, aber der Trend ist auf jeden Fall da. Vor 20 Jahren war es vielleicht für viele undenkbar, Schuhe im Internet zu kaufen. Mittlerweile kaufen Leute ganze Kleiderschränke im Internet. Online-Banking war auch lange ein Nischenthema, ist mittlerweile aber auch in sehr breiten Bevölkerungskreisen angekommen. Das Einkaufen von anderen Finanzdienstleistungen, zum Beispiel von Versicherungen, im Internet ist schon da und jetzt kommt langsam auch der Rechtsbereich. Dass das mit den Rechtsdienstleistungen irgendwann auf breiter Basis weitergeht, ist eigentlich eine sehr leichte Prognose. Man weiß nur nicht wann und in welchem Zeitraum. Aber die Bereitschaft, Rechtsdienstleistungen auch übers Internet einzukaufen und abzuwickeln, die ist da. Und die junge, digital affine Generation, die setzt die berühmte iPad-Fähigkeit einer Dienstleistung eigentlich voraus. Entwicklungen wie die Corona-Pandemie, sind, glaube ich, etwas, das diesen Trend noch weiter befeuern kann. Einfach dadurch, dass man gezwungen ist, in manchen Bereichen Alternativen zu bisherigen Kommunikationswegen mit Anwälten zu suchen. Dadurch landet man dann vielleicht im Internet und probiert bestimmte Dinge einfach mal aus.

Das breite Bewusstsein ist aber, glaube ich, wie gesagt noch nicht da. Was aber häufig schon passiert, ist – und das ist, glaube ich, auch ein Einfallstor –, dass Leute im Internet nach Rechtsthemen suchen und dann auch mehr und mehr passende Angebote für Rechtsfragen finden. Was mit einzelnen Nischenthemen begonnen hat, wird durch bestimmte Plattformen mittlerweile sehr breit abgebildet und auch das ist ein Trend, der sicherlich noch deutlich weiter geht. Dass also für viel mehr Nischenthemen Angebote bestehen, die dann von Verbrauchern auch gefunden werden.


Diese Angebote kommen oft von Nichtjuristen. Die beiden meistbeschworenen Schreckgespinste in dem Zusammenhang sind, dass die Juristen alle ihre Jobs verlieren oder aber auch, dass die Beratungsqualität auf Dauer absinkt. Wie siehst Du das? Ist das problematisch oder ist das eher halb so wild?

Das mit dem großen Jobverlust für Anwälte sehe ich eigentlich nicht. Es kommt darauf an, wie der Rechtsmarkt sich insgesamt entwickelt. Oft bieten die Legal Tech-Start-Ups Themen an, die für Anwälte bislang nicht attraktiv waren. Gewisse Schnittmengen gibt es und die gibt es auch immer mehr, zum Beispiel im Verkehrsrecht oder im Arbeitsrecht sieht man jetzt schon, dass gewisse gut standardisierbare Vorgänge sich auf wenige Player konzentrieren, die es mit einer gezielten Werbung im Internet oder über andere Kanäle schaffen, eine Konzentration dieser Fälle auf sich zu ziehen. Das kann dazu führen, dass Juristen in der Breite weniger zu tun haben. Aber die wenigsten werden das jetzt so spüren, dass sie komplett aus dem Job gedrängt werden. Was passieren wird, ist, dass sich das Verhältnis von eher weniger profitablen, komplizierten Fällen zu leichten, standardisierbaren, schnell abwickelbaren Fällen im Verbraucherbereich verschiebt. Und zwar für viele Anwälte hin zu mehr komplexen Fällen. Dadurch geht die Profitabilität der Arbeit herunter. Das heißt, man muss sich Alternativen überlegen. Als einzelner Anwalt oder kleine Kanzlei irgendwie im Angebot mit den hoch standardisierten und automatisierten Special-Playern mitzuhalten, wird kaum gelingen. Aber da muss man eben Strategien entwickeln, wie man mit den Segmenten, die übrig bleiben, vernünftig zurechtkommt. Und möglicherweise wird das am Ende auch ein kleiner Verdrängungswettbewerb sein, der aber davon abhängt, wie der Rechtsmarkt insgesamt wächst und sich entwickelt. Großflächigen Jobverlust für Juristen sehe ich da nicht. Es entstehen aber neue Profile und Anforderungen. In vielen dieser nach außen nicht wie Anwaltskanzleien aussehenden Start-Ups arbeiten dann doch eine ganze Reihe von Juristinnen und Juristen, die auch mit Fallmanagement zu tun haben, was aber ein komplett anderes Jobprofil ist als das des klassischen Anwalts.

Sinkende Beratungsqualität ist dann tatsächlich so ein Schreckgespenst, das immer wieder gerne an die Wand gemalt wird. Mir sind jetzt keine Studien bekannt, weder in die eine noch in die andere Richtung. Was man auf jeden Fall schon beobachten kann, ist, dass die Angebote mit einer starken Spezialisierung aus Verbrauchersicht in vielen Fällen sehr große Vorteile bieten. Einfach dadurch, dass die Anbieter ganz anders incentiviert sind, mit bestimmten Fällen umzugehen. Wo andere vielleicht auch aufgeben würden, weil es in einem Einzelfall für einen Anwalt möglicherweise nicht attraktiv ist und es sich auch aus Mandantensicht nicht lohnt, eine gewisse Rechtsfrage bis in die obersten Instanzen oder sogar bis zum EuGH auszufechten, haben spezialisierte Anbieter gerade dafür einen Anreiz. Das sieht man an vielen obergerichtlichen Entscheidungen, die – zum Beispiel durch Flightright – schon erstritten wurden oder die man jetzt im Dieselskandal sieht. Wenn da alle Verbraucher mit diesem Thema nur bei einzelnen Anwälten in kleiner Stückzahl unterwegs wären, hätte man eine ganz andere Dynamik. Und wenn man Beratungsqualität nicht dadurch definiert, ob ich im Wartezimmer des Anwalts einen Kaffee und persönlichen Handschlag bekomme, sondern ob ich mit möglichst wenig Risiko, wenig Stress und Einsatz komfortabel zu meinem Ziel komme, dann liegen viele Start-Ups möglicherweise schon auch ein Stück weit vorne gegenüber Anwaltskanzleien.


Zum Abschluss noch ein paar Fragen, die mit den vorherigen nichts zu tun haben, aber mich einfach mal interessieren würden. Du bist Mitherausgeber eines der Legal Tech-Standardwerke. Wie kommt man darauf, so ein Buch zu machen?

Aus dem Bedürfnis heraus, einen recht diffusen Komplex wie Legal Tech, der durch einen gewissen Hype eine große Aufmerksamkeit erzeugt hat, mal zusammenfassend zu beschreiben und auch Pioniere zu Wort kommen zu lassen. Wir Mitherausgeber haben in dem Buch nur einen kleinen Teil selbst verfasst, um sehr viele Akteurinnen und Akteure am Rechtsmarkt mit einzubinden, die tatsächlich zum damaligen Zeitpunkt, also 2017, als es entstanden ist, im Legal Tech schon signifikante Erfahrungen gemacht haben. Und diese Erfahrungen einmal aufzuschreiben, auch mit einem großen Publikum zu teilen, das ist etwas, was eine große Motivation war. Weil es dann einfach dafür sorgt, dass bestimmte Themen fundierter und konkreter diskutiert werden und sich weiterentwickeln können, als ohne dieses Werk. Warum muss es gleich ein Buch sein? Warum macht man nicht einen Blog oder irgendetwas anderes? Wir haben gemerkt oder uns sogar erwartet – was auch so eingetreten ist –, dass ein Buch – auch zu einem digitalen Thema oder für eine digital affinen Zielgruppe – nach wie vor einen anderen Stellenwert besitzt, als bestimmte digitale Medien. Und deswegen ist es letztendlich Buch geworden.


Und war das schwierig in der Umsetzung oder da die richtigen Leute zu finden, beziehungsweise die zur Zusage zu bewegen?

Das ging eigentlich aus den Netzwerken, die wir Herausgeber mitgebracht haben, relativ gut. Die Bereitschaft, allgemein oder über konkrete Projekte und Erfolge, teilweise sogar Misserfolge, zu schreiben, ist bei vielen Pionieren da gewesen. Wir hatten auch sehr disziplinierte Autoren, die mit dazu beigetragen haben, einen straffen Zeitplan, den wir bei so einem aktuellen Thema hatten, auch einzuhalten. Wichtig war uns, mit den Themen dann auch aktuell auf den Markt zu kommen. Natürlich hat man gewisse Beschränkungen durch den Produktionsprozess, durch den so ein Buch durch muss, der dann leider auch oft nicht ganz so digitalisiert ist, wie man sich das eigentlich wünschen würde. Aber trotz allem haben wir es geschafft, das Ganze von der Idee bis zur Veröffentlichung in unter einem Jahr durchzuziehen. Das ist für ein Buch in der Komplexität und Größe, glaube ich, schon ziemlich gut. Aber es war anstrengend, das war schon Arbeit.


Damit wären wir am Ende. Herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast.


Jari Kohne

Dieses Interview wurde von Jari Kohne geführt. Jari studiert im siebten Semester Rechtswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover. Dort arbeitet er außerdem in der Web-Redaktion der Juristischen Fakultät.