"Dass wir die Arbeit des Anwalts massiv verändern ist natürlich klar."

 

Viele Verbraucher nehmen ihre Ansprüche nicht wahr. Häufig scheitert es an fehlendem Wissen über die eigenen Rechte, Kosten und Aufwand. Genau diese Marklücke versucht das Unternehmen RightNow zu schließen, indem es Verbrauchern ihre Ansprüche auf eigenes Risiko abkauft. Der Kauf erfolgt nur nach einer internen automatisierten Prüfung der Ansprüche. Wir haben mit Dr. Benedikt Quarch, dem Mitgründer und Geschäftsführer von RightNow, gesprochen, wie diese Überprüfung funktioniert und welche Bedeutung der Ansatz des Consumer Claims Purchasing in der Zukunft hat.  - Helge von Bülow


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Benedikt Quarch ist promovierter Betriebswirt und Jurist. Er absolvierte 2016 das beste juristische Staatsexamen in Hessen und ist erfolgreicher Mitgründer von RightNow.


Wie kam es zur Gründung von RightNow?

RightNow startete als Geld-für-Flug. Wir, Phillip Eischet, Torben Antretter und ich, haben das Unternehmen Anfang 2017 gegründet. Phillip kenne ich schon seit gut 20 Jahren und Torben haben wir dann im Studium kennengelernt. Die beiden sind von Haus aus BWLer, ich habe BWL und Jura studiert.

Wie kam es dazu? Bei uns gibt es eine Art Legende, die aber auch tatsächlich so abgelaufen ist. Ich wollte die beiden Kollegen an ihrem Studienort in St. Gallen besuchen und hatte einen Flug mit Air Berlin gebucht. Diesen konnte ich dann aber nicht antreten und wollte mein Geld zurückerhalten, was aber verweigert wurde. Dann konnte ich - etwas plastisch gesprochen - eines meiner großen Ziele im Studium verwirklichen, nämlich endlich mal jemanden verklagen. Das hatte dann auch Erfolg. In dem Moment wurde uns bewusst, dass das Thema Nichtantritt von Flügen bisher völlig unbekannt war. Es existierten zwar die gesetzlichen Ansprüche auf Erstattung der Steuern, Gebühren und Zuschläge, diese setzte aber keiner durch. Und genau das wollten wir ändern. Bei diesen Fällen geht es um Ansprüche von 20 €, vielleicht mal 100 €. Keiner will für so etwas Kosten, Mühen und Zeit investieren, sondern diese Sache am liebsten sofort erledigt haben. So kamen wir zu unserem spezifischen Modell und - so viel kann ich nach meinen eigenen statistischen Erhebungen sagen - wir waren die ersten, die den Legal-Tech-Markt im Bereich Consumer- Claims-Purchasing prägten.

Bei diesem Modell kaufen wir die Verbraucherforderung auf, prüfen diese mit einem Risikomechanismus und zahlen das Geld dann entsprechend sofort aus. Das wurde auch sehr gut angenommen.

Weiter zur Unternehmensgeschichte: Anfang 2017 haben wir dann eine Finanzierung mit zwei Schweizer Investoren gemacht und unser Produkt geld-fuer-flug immer weiter vorangetrieben, also vor allem die Datenbanken und die Technik verbessert. 2018 haben wir dann eine klassische Seed-Finanzierung unter anderem mit Carsten Maschmeyer als Investor bekommen, allerdings ohne Höhle der Löwen. Bald darauf haben wir dann ein weiteres Produkt für Zugverspätungen übernommen und weiterentwickelt. Wir stellte dann fest, dass wir mit einer Diversifikationstrategie in die Breite gehen wollten und überführten die bis dahin bestehenden Produkte in eine neue Marke: RightNow.

Wir haben nochmal 2019 eine weitere strategische Finanzierungsrunde, unter anderem mit den Gründern von trivago, gehabt und befinden uns jetzt im Jahr 2020 mit etwa 30 Leuten in unserem Hauptbüro in Düsseldorf und zwei weiteren Büros in Kiev und Malaga, wo hauptsächlich die Tech- und Productteams arbeiten. Mittlerweile sind wir in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und Skandinavien tätig.


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Die RightNow Group GmbH ist ein 2017 gegründetes Legal Tech Start-Up mit Hauptsitz in Düsseldorf, welches Verbraucheransprüche abkauft und selbst durchsetzt. Das Produktportfolio umfasst Ansprüche wegen Flugstornierung und Nichtantritts eines Fluges, Ansprüche aus Flug- und Bahnverspätungen, Ansprüche wegen widerrechtlicher Kürzung von Versicherungsleistungen nach Kfz-Unfällen und Ansprüche aus fehlerhaften Mietkostennebenabrechnungen. Das Startup hat über 30 Mitarbeiter.


Hat es geholfen, dass ihr drei Gründer von Haus aus sowohl die ökonomische als auch die juristische Sichtweise mitbrachtet?

Absolut! Ich glaube auf jeden Fall, dass sich das ausgezahlt hat. Das ist für mich ganz persönlich auch ein Grund, warum ich mich selbst für das Unternehmen so leidenschaftlich einsetze. Ich kann Jura und das Unternehmertum miteinander verbinden, das finde ich einfach genial! Und ich glaube auch, dass ohne diese Verbindung das Unternehmen nicht so weit gekommen wäre, wie es jetzt ist. Es braucht eben immer auch den betriebswirtschaftlichen und natürlich auch den technischen Blick, um sich von den festgefahrenen juristischen Denkweisen zu lösen.


War dir schon vor der Gründung von geldfuerflug klar, dass Du unternehmerisch tätig werden wolltest?

Nein. Ich war zwar schon zur Schul- und Studienzeit unternehmerisch tätig. Mit Phillip hatte ich beispielsweise eine Social Media Beratung während des Studiums. Also ich hatte schon immer ein bisschen das unternehmerische Feuer in mir, aber - ehrlich gesagt - nach dem Studium und meiner Promotion im europäischen Finanzmarktrecht hatte ich nicht den klaren Plan, ein Unternehmen zu gründen. Vielmehr ist das durch diese Gelegenheit mit meinen beiden Kollegen entstanden.

Rückblickend betrachtet würde ich auf jeden Fall sagen, dass es zu 100 % die richtige Entscheidung war. Es ist wunderbar zum einen die unternehmerische Gestaltungsfreiheit zu haben und sich gleichzeitig mit juristischen Themen befassen zu können.


Kommen wir nochmal spezifischer zu RightNow. Wie genau funktioniert die Überprüfung der Ansprüche?

Das beginnt erstmal damit, dass bei uns ein Fall auf unserer Website mit entsprechenden Dokumenten hochgeladen wird. Dann prüfen wir zwei zentrale Sachen: Erstens, ob und in welcher Höhe ein Anspruch besteht. Und zweitens, mit welchen Risikofaktoren die Durchsetzung des Anspruchs verbunden ist. Diese Prüfung erfolgt weitestgehend automatisiert.

Je älter das Produkt ist, desto automatisierter läuft das ganze ab - im Bereich Mietnebenkosten erfolgt beispielsweise immer noch eine manuelle Überprüfung, um eine entsprechend hohe Qualität sicherzustellen, bei älteren Produkten hingegen nicht.

Bei einem klassischen Flugstornierungsfall muss z.B. zunächst überprüft werden, ob eine valide Buchung vorliegt, dann wie hoch die Steuern, Gebühren und Zuschläge sind - das ist der Teil des Flugpreises, den man potenziell zurückbekommt. Danach überprüfen wir, ob ein Betrugsverdacht besteht und erst dann kommt die Risikoermittlung bzgl. der Durchsetzung. Die hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren ab, einen ganz zentralen hebe ich gerne hervor, nämlich die sog. Gerichtsdatenbank. Wir haben natürlich innerhalb der fast vier Jahre, in denen wir vor Gerichten mit tausenden Verfahren tätig sind, dokumentiert, wie schnell das einzelne Verfahren vorangeht, wie erfolgreich es ist, und wie häufig sich die Besetzung der Richter verändert. Mit dieser Datenbank können wir mittlerweile recht treffsicher voraussagen, mit welcher Erfolgschance wir gewinnen. Bei einem voraussichtlich langen Verfahren ist unser Risiko zum Beispiel höher. Das liegt daran, dass wir mit unserem Modell - Consumer Claims Purchasing - den Kunden vorab das Geld auszahlen und damit das volle Risiko der Durchsetzung tragen. Diese Risikoeinschätzung steht bei uns daher auch an erster Stelle.

Vor diesem Hintergrund wird dann vom System festgelegt, wie hoch der Angebotsbetrag ist, also wie wieviel wir dem Kunden dann auszahlen wollen, um den Claim abzukaufen. Das hängt zentral von den Risikofaktoren ab - wenn es ein geringes Risiko ist, dann können es bis zu 90 % Auszahlung sein, bei einem deutlich höheren Risiko können es andere Sätze sein. Jeder Fall wird also individuell betrachtet. Das wird dann natürlich auch manchmal zu einer Herausforderung, es dem Kunden ganz präzise zu erklären, wie die Differenzen bei der Auszahlung zustande kommen, anders bei einer Flat, da weiß man wo man ist. Bei unserem Modell ist das aber nicht angebracht, und über die Jahre hinweg haben wir damit auch eine gute Beziehung zu den Kunden entwickelt.


Habt ihr die dem System zugrundeliegenden Algorithmen selbst antrainiert oder jeder Bedingung einen bestimmten Wert zugewiesen?

Ohne, dass ich da jetzt der technische Experte bin, ist beides vorhanden. Teilweise wird entsprechend an den Fällen angelernt, teilweise wird es nach festgelegten wie im Sinne eines Entscheidungsbaumes beurteilt.

Bei den neueren Produkten wird auch noch manuell überprüft.


Du hast es schon angerissen: Welche genauen Bereiche habt ihr schon im Portfolio, welche visiert ihr gerade an?

Welche Bereiche wir haben, ist schnell gesagt: Ursprünglich sind wir im Bereich Flugstornierungen tätig, mittlerweile eben auch Zugverspätungen, stornierte Pauschalreisen, falschberechnete Mietnebenkosten- und Betriebskostenabrechnungen, und falschregulierte Kfz-Haftpflichtschäden, also wenn bei einem Unfall die Versicherung zu wenig zahlt. Insgesamt also 5 Bereiche, dazu kommen dann noch Sonderprodukte, beispielsweise ein Coronaspezialprodukt, wo es um die Umsetzung von Coronaerstattungsforderungen geht. Wir arbeiten rund um die Uhr daran, unsere Produkte zu verbessern und auszubauen. Unsere strategische Vision ist es, den Verbraucherinnen und Verbrauchern in nahezu jedem Lebensbereich, wo standardisiert und häufig Rechtsprobleme auftreten, Lösungen anzubieten. Bei unserem Ansatz ist das natürlich auch klar, dass das in jedem Bereich nicht möglich sein wird. Wir versuchen aber unsere Produkte so gut wie möglich auszuweiten. Ein spannender Bereich, den wir uns aktuell sehr genau anschauen, ist dabei das Datenschutzrecht.


Ich kann mir vorstellen, dass es bspw. bei den Autofällen in Bezug auf das Mitverschulden dann doch häufiger zu Rechtsstreitigkeiten kommen kann. Daher die Frage: Wie viele der gekauften Ansprüche werden außergerichtlich erfüllt, wie viele macht ihr gar nicht geltend (aufgrund eines "Fehlkaufes") und wie viele landen vor Gericht?

Es ist so, dass wir im Jahr 2019 eine gerichtliche Erfolgsquote von 99 % hatten. Außergerichtlich oder gerichtlich hängt dann eher von dem Produkt ab. Je älter es ist, desto weniger Fälle machen wir vor Gericht geltend. Bei den Flugstornierungen haben wir mit sehr vielen Fluggesellschaften entsprechend gute Lösungen, um eine außergerichtliche Einigung herbeiführen zu können. Ähnlich verhält es sich bei den Ansprüchen wegen Unfällen.

Die Frage setzt aber ein bisschen weiter vorne an, weil wir die Ansprüche bei Unfallfällen mit Mitverschulden gar nicht erst ankaufen, sondern immer individuell prüfen, dass kein Verschulden vorliegt.

Die Ablehnungsquote insgesamt tendiert von Bereich zu Bereich ganz unterschiedlich. Ein momentaner strategischer Zukunftsansatz ist es, keinem Kunden mehr abzusagen, auch wenn wir bei unserem jetzigen System den Anspruch eigentlich nicht abkaufen würden, dann aber dem Kunden ein entsprechendes Angebot nicht zum Abkauf der Forderung, sondern zur Durchsetzung der Forderung oder zur Verfügungstellung eines Prüfberichtes zu unterbreiten.

Wenn wir aber einen Anspruch ankaufen, dann gewinnen wir in der Regel.


Ihr betreibt im Moment ja ausschließlich echtes Factoring, tragt also ausschließlich das Risiko, kannst Du dir auch das unechte Factoring vorstellen, bei dem ihr dann das Recht hättet, den Forderungskauf rückabzuwickeln, wenn nicht gezahlt wird?

Unechtes Factoring empfinde ich eigentlich als einen kundenunfreundlichen Ansatz. Das bringt im B2B-Geschäft sicherlich einiges, wo ich dann einen Liquiditäts- und Vorfinanzierungseffekt habe. Im klassischen B2C-Bereich halte ich das nicht für so ansprechend.


Falls ein Rechtsstreit bei euch vor Gericht geht, führt ihr den Prozess selber oder habt ihr Partnerkanzleien?

Wir haben entsprechende Partnerkanzleien, die mit uns seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten, sie sind je nach Produkt in Deutschland verstreut und unterscheiden sich danach. Wir bieten ihnen natürlich auch entsprechende Softwarelösungen an, damit die gerichtlichen Verfahren auch gut abgewickelt werden können.


Sind dir besondere Fälle bekannt, in denen Verbraucher von Unternehmern daran gehindert werden, ihre Ansprüche durchzusetzen?

Ja, da gibt es zuhauf Fälle. Mein Lieblingsbeispiel Flugstornierungen. Ich will meine Steuern und Gebühren von RyanAir zurückerhalten. Da schau mal auf das Ticket, denn dort steht nicht drauf, wie hoch die Steuern und Gebühren sind. Bereits das verstößt gegen Europarecht und gegen die Luftverkehrsdiensteverordnung. RyanAir verstößt damit klar gegen Unionsrecht. Versuch dort mal deine Forderungen durchzusetzen. Du wirst regelmäßig die gleiche Antwort von einem gewissen Adam kriegen, manchmal heißt er auch anders: Das geht leider nicht, wir haben eine gewisse Bearbeitungsgebühr und diese ist höher als die Steuern und Abgaben.

Das ist einfach rechtswidriges Verhalten und erschwert dem Verbraucher, seine Ansprüche durchzusetzen. Da genau setzen wir dann an und sagen: Guck mal hier, du brauchst dich mit diesen ganzen Themen nicht beschäftigen, du brauchst keinen Anwalt zu beschäftigen und einen Vorschuss leisten und du brauchst keine Kostenrisiken zu tragen. Du kannst einfach zu uns kommen, wir prüfen den Fall dann sofort und du bekommst das Geld ausgezahlt und kannst es behalten, fertig aus!

Dieses Thema schneidet auch das Verhältnis Legal Tech und Anwaltschaft, das ist im Moment ja auch eine große Diskussion. Ich für meine Zwecke kann die Ablehnung der Anwaltschaft, die teilweise ja verbreitet ist, nicht nachvollziehen. Aus meiner Sicht gehören Legal Tech und Anwaltschaft zusammen. Wir kapern die Fälle, die die meisten Anwälte gar nicht haben wollen. Für 20,- € gegen RyanAir zu klagen und sich mit Rechtsfragen des internationalen Privatrechts nach der Rom-I-Verordnung rumzuschlagen, dass möchte doch keiner. Wir sind da quasi Gatekeeper, die einfach ganz viele Forderungen einsammeln und dann im Wege der objektiven Klagehäufung geltend machen können. Insofern ist das für den Anwalt, für uns, für den Verbraucher und für das Gericht sehr effizient. Es ist also eine absolut sinnvolle Ergänzung von Rechtsdienstleistungen, deswegen ist mir diese Ablehnung gegenüber Legal Tech unerklärlich. Zugegeben haben wir selbst diese Ablehnung nie erfahren. Wir fallen auch nicht unter das Rechtsdienstleistungsgesetz, weil wir eben die Forderung abkaufen. Somit stellte sich nie die Frage, ob die Abtretung eventuell nichtig ist. Wir sind bemüht, diesen Konflikt, Anwaltschaft gegen Legal Tech, aufzulösen.

Dass wir die Arbeit des Anwalts massiv verändern ist natürlich klar. Dass Legal Tech das ganze Rechtssystem aber auch effizienter gestalten, ist eine gute Sache.


Ich kann mich da nur anschließen, in bestimmten Bereichen kann mit Legal Tech Recht durchgesetzt werden, wo es vorher nicht der Fall war. An dieser Stelle kann ich auch auf das Interview mit Prof. Henssler verweisen, wenn man dieses Thema nochmal genauer nachlesen möchte.

Zum Interview mit Prof Henssler


Aber erst mal weiter: Du hast mit deinem Unternehmen auch schon einige Höhen und Tiefen erlebt - die Stichworte sind Air-Berlin-Insolvenz, BGH-Urteile und die jetzige Coronakrise. Was hast Du daraus mitgenommen?

Also die Air-Berlin-Insolvenz war sicherlich der schwärzeste Tag unserer Unternehmensgeschichte. Da waren wir noch ganz jung und mussten sechsstellige Beträge abschreiben. Daraus haben wir gelernt, dass diese Risikoprüfung so massiv relevant für uns ist. Gleichzeitig haben wir daraus gelernt, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt, die Systeme besser zu machen, die Schwerpunkte richtig zu legen und so fort.

Das gleiche auch bei BGH-Urteilen, die unser Geschäftsmodell verändert haben, aber ich glaube in vielerlei Hinsicht zum Besseren: Es einfach effizienter zu gestalten und einen Fokus auf Standardisierung zu legen.

Es waren alles natürlich schwarze Tage, aber eben insofern auch positive Erlebnisse.

Die Coronakrise trifft natürlich jeden. Dabei waren März bis April absolute Rekordmonate, was uns sehr gefreut hat. Auf der anderen Seite ist das auch mit Herausforderungen verbunden, Stichwort die Rückflüsse etwa aus verzögerten Gerichtsverfahren, das haben wir auch zu spüren gekommen. Insgesamt sind wir aber sehr gut aus der Krise gekommen.

Alles in allem haben wir Rückschritte erlebt, wir sind aber motiviert aufgestanden und haben Gas gegeben.


Wie resilient muss man als Unternehmer sein?

Sicherlich schon in gewisser Weise. Das Unternehmertum ist immer auch mit Risiken verbunden, das ist klar. Aber das macht eben nach dem alten Motto "no risk no fun" auch den Reiz aus. Risiken bedeuten dann aber auch entsprechende Gewinnchancen. Vielleicht: Man muss eine gewisse Haut haben. Wichtiger ist aber, dass man ein unternehmerisches Denken mitbringt. Das heißt, bereit ist, auch mal quer zu denken, von Anfang an mit anzupacken und mitzugestalten. Wenn man das hat, dann trainiert man sich eine gewisse Resilienz im Laufe der Zeit auch an. Das Meiste ist bei mir sicherlich mit learning by doing entstanden. Das ist ein dauernder Prozess, bei dem man sich ständig weiterentwickeln muss. Eine gewisse Herausforderung gehört dazu.


Kommen wir nochmal zurück auf die Finanzierung. Ihr habt euch für eine Eigenkapitalfinanzierung entschieden. In einem unserer anderen Interviews wurde das auch dahingehend kritisch betrachtet, dass man sich Bedingungen anderer unterwirft.

Zum Interview mit Philipp von Bülow


Wieso habt ihr euch dafür entschieden?

Wir haben uns für ein klassisches Equity-Investment entschieden, wir haben also Shares ausgegeben, die von Investoren gekauft wurden. Im Gegenzug dafür werden die Investoren Mitgesellschafter. Das ist aus meiner Sicht die sinnvollste und beste Wachstumsfinanzierung. Bei unserem Modell kommt noch hinzu, dass wir in Vorleistung gehen, um die jeweiligen Forderungen kaufen zu können. Dafür benötigt man Kapital, was wir über eine Working- Capital-Fonds-Lösung abbilden.

Natürlich muss man bei den Equity-Investments immer darauf achten, was die Bewertung des Unternehmens angeht und dass man richtige Deals abschließt. Am Ende ziehen aber alle

Mitgesellschafter an einem Strang, um für das Unternehmen das Beste rauszuholen. Insofern ist das also eine gute Art, um Geld einzutreiben.


Kommen wir zu den generellen Auswirkungen des Consumer Claims Purchasing-Ansatzes. Haben die Unternehmen aufgrund dieser Geschäftsidee nicht auch mehr Druck bekommen, die Ansprüche von sich aus auszahlen zu müssen. Werdet ihr am Ende dadurch nicht überflüssig?

Ja, also, dass die Unternehmen am Ende direkt an die Verbraucher zahlen, ist in unserem Geschäftsmodell auch irgendwie angelegt. Wenn das wirklich der Fall sein sollte, dann hätte man aber ja auch was Gutes erreicht, nämlich, dass die Leute sich endlich an Recht und Gesetz halten und nicht irgendwelche Verzögerungstaktiken machen – wunderbar! Wenn dann dadurch unser Geschäftsmodell entfallen würde, okay. Dafür fahren wir aber auch eine Diversifikationsstrategie, um da richtig aufgestellt sein zu können.


Spürt ihr schon die Auswirkungen von Legal Tech auf Unternehmerseite?

Nein (lacht).


Wie groß ist der Markt für Consumer Claims Purchasing, wieviel Wachstumspotenzial besteht noch?

Es ist ein großer Markt. Es kommt aber ganz auf den Rechtsbereich an. Über die Hälfte aller Deutschen sind Mieter. Jeder einzelne von ihnen bekommt eine Nebenkostenabrechnung. Nach unseren und den Berechnungen des Mieterbundes sind über die Hälfte von diesen Rechnungen falsch. Daran siehst du, wie groß die Potenziale sind. Ähnliches bei Flügen und Pauschalreisen: Die bislang noch nicht ausgezahlten Erstattungsleistungen für stornierte Pauschalreisen werden auf sechs Milliarden, die für Flüge auf vier Milliarden Euro geschätzt. Das sind teilweise riesige Summen, die auf uns warten.

Insgesamt würde ich sagen, dass die Wachstumschancen bei Consumer Claims Purchasing sehr groß sind, vor allem auch, da es noch mehr interessante Themenbereiche gibt, die man hinzunehmen kann. Wir denken bspw. über Schadensersatzansprüche bei Datenschutzverstößen nach. Da sind der Fantasie fast keine Grenzen gesetzt.


Hat Deutschland in Europa Chancen auf eine Vorreiterrolle im Bereich Legal Tech?

Ganz klar ja! Wenn man sich da den europäischen Markt mal anguckt, dann ist Deutschland, was die Vielzahl und auch die Breite der Angebote angeht, meinem Eindruck nach ganz vorne mit dabei. Sei es die digitale Anwaltsvermittlung, die verschiedenen Inkassomodelle, Consumer Claims Purchasing. Durch uns und die ganzen Softwarelösungen – da sind wirklich ganz viele Angebote auf dem Markt.

Deutschland hat zwar regulatorisch keine Vorreiterrolle inne, man schaue sich beispielsweise die Rechtsdienstleistungsfragen und die Klagen der Anwaltskammern und Ähnliches an. Was den Markt angeht, sind wir aber ganz vorne mit dabei. Deswegen mein Appell in Richtung Politik, dass man regulatorisch einen guten Rahmen für die schaffen sollte, die unter das RDG fallen. Dann hätten wir die Chance auf einen Start-Up-Bereich, bei dem Deutschland weltweit ganz vorne stünde. In vielen anderen Start-Up-Bereichen war Deutschland lange Zeit nicht vorne. Wenn man an die großen Fintechs denkt - von Google, Amazon und Facebook mal ganz zu schweigen, da ist Deutschland meilenweit hinterher. Im Legal Tech Bereich könnten wir ganz vorne dabei sein, dafür muss man sich aber auch anstrengen.


Welche Bedeutung misst Du der Sprache bei diesem Thema bei? Es gibt ja viel mehr englische Rechtsstreitigkeiten in Datenbanken anhand derer Legal Tech antrainiert werden könnte und damit existieren allgemein mehr Daten, die ausgewertet werden können. Andererseits ist man – abgesehen von einem anderen Rechtssystem - durch eine eigene Sprache von den größeren Rechtsmärkten etwas abgegrenzt und vielleicht hilft das ja auch sich zumindest auf seinem Markt behaupten zu können.

Verstehe was Du meinst. Der deutsche Rechtsmarkt, also Deutschland, Österreich und die Schweiz, sind jetzt nicht klein, aber eben auch nicht besonders groß. Das kann natürlich sein, dass das dazu beiträgt. Das wird aber sicherlich nicht der einzige Grund sein. Ich glaube, dass die deutsche Rechtsdurchsetzung weltweit schon einen hohen Stellenwert hat und auch hierzulande gerne geklagt wird.


Aufgrund Unternehmen wie eurem wird der außergerichtliche Ablauf schon stark automatisiert. Stellt die Justiz da einen bremsenden Faktor dar?

Insofern, dass vor Gericht ein Medienbruch stattfindet. Wir können über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) dann zwar entsprechend einreichen, die weitere Kommunikation läuft aber weiterhin zu einem großen Teil postalisch ab. Das ist in gewisser Weise ein Hemmnis. Jetzt sind die Entwicklungen durch die Coronakrise, dass man den § 128a ZPO auch mal anwenden möchte, sehr positiv.

Wenn man mal outside the box denkt, dann finde ich es sehr interessant, sich mit dem Thema automatisierte Gerichtsverfahren zu beschäftigen. Viele unserer Fälle sind wirklich sehr sehr ähnlich. Beispiel: Erstattung von wegen der Coronakrise stornierten Flugpreisen. Da gibt es keine Rechtsfrage, die wurden storniert und da muss der Preis erstattet werden. Das steht so wortwörtlich im Gesetz. Und sorry, aber warum müssen hochausgebildete Juristen dann in Papierform ausgedruckte Worddokumente unterschreiben, abstempeln und dann über diesen Fall entscheiden? Wenn man es mal so bewusst überspitzt darstellt, dann sind das verschwendete Ressourcen. Natürlich gibt es immer auch Sonderfälle, die man berücksichtigen muss. Aber in Estland gibt es bspw. auch schon erste Versuche für ein automatisiertes Gerichtsverfahren, die noch nicht vollständig umgesetzt sind. Oder wir denken an das Mahnverfahren in Deutschland, auch das ist ein automatisiertes Gerichtsverfahren. Natürlich wird der Anspruch da nicht inhaltlich geprüft, aber bei ganz klarer Datenlage - Flug wurde annulliert, Preis ist x - von der beide Parteien ausgehen, wird automatisch entschieden. Wenn beide Parteien nicht von denselben Daten ausgehen, könnte auch automatisch geschaut werden, welche davon vertrauenswürdiger sind oder lässt sie von anderen Menschen als Richtern prüfen.

Da gibt es hochinteressante Ideen und natürlich wird innerhalb eines Jahres jetzt nicht alle Gerichtsverfahren automatisiert ablaufen - da bin ich selber auch zu sehr Realist, aber ich finde es gut, die Debatte in dieser Richtung aufzufrischen.


Wenn die Angaben beider Parteien nicht übereinstimmen, wie würde denn in etwa eine automatisierte Überprüfung aussehen? Im Moment wird das ja bei streitiger Sachlage im Beweisverfahren geklärt.

Naja, nehmen wir mal das Beispiel mit der Flugstornierung: Dass der Flug ausgefallen ist steht in öffentlich zugänglichen Datenbanken. Wie hoch der Flugpreis ist, steht auf dem Ticket, welches man durch validierte Verfahren auslesen könnte.

Klar wird es keine automatisierten Gerichtsverfahren bei komplizierten Erbrechtsstreitigkeiten geben. Über solche Fälle spreche ich aber nicht, sondern von solchen, die rechtlich völlig unproblematisch und tatsächlich evident sind.


Sollte man gegen Entscheidungen solcher automatisierten Verfahren ein menschliches Gericht anrufen können?

Das würde ich auf jeden Fall sagen! Eine solche Berufungsmöglichkeit sollte zumindest am Anfang gegeben sein.


Kommen wir nochmal zu dir: Mal abgesehen von RightNow hast Du damals auch das beste Staatsexamen in Hessen gemacht und bist, wie Du schon erwähnt hast, promoviert. Dir stehen also fast alle Türen offen.

(lacht) Im Prinzip ja, schauen wir aber mal, was noch kommt. Das Unternehmen hat im Moment so viel Fahrt aufgenommen und macht so viel Spaß und Freude, dass ich da meine Energie reinstecke. Was in ein paar Jahren passiert, passiert dann.


Gibt es etwas, was Du unseren Lesern empfehlen würdest?

Auch wenn es eine absolute gute Sache seien kann, kann ich jedem einzelnen empfehlen, auch mal außerhalb der ausgetretenen Pfade zu denken und zu gehen. Dort warten die richtig spannenden Dinge!


Interviewer

Helge von Bülow ist Mitgründer und Vorstandsmitglied von eLegal und hat Anfang dieses Jahres den staatlichen Teil der ersten juristischen Prüfung absolviert.