"Juristen sollen ein neues Selbstverständnis entwickeln und als Trusted Advisor wahrgenommen werden."

 

Wie können sich Rechtsabteilungen in Unternehmen an ein zunehmend digitales Umfeld anpassen? Bei diesem Prozess unterstützt Markus Fuhrmann mit seinem Team die Rechtsabteilungen in Unternehmen. In unserem Gespräch gibt er einen Einblick in die Arbeit eines Legal Tech Consultants und über die Aufgabenstellungen und Herausforderungen, die der Job mit sich bringt.  - Julius Scherr


Markus Fuhrmann ist Jurist und leitet gemeinsam mit Jan Schulz den Bereich Legal Managed Services und Legal Function Consulting (Legal Operations) bei EY Law. Er unterstützt Rechtsabteilungen in ihrer zukünftigen effizienten Aufstellung und Organisation sowie Transformation dorthin. Er hat 18 Jahre internationale Beratungserfahrung als Partner bei einer internationalen Unternehmensberatung.
Markus Fuhrmann hat Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin und Jura an der FU Berlin studiert.


Du bist Legal Function Consultant, kannst du kurz erklären, wie dein Arbeitsalltag aussieht?

Mit unserem Legal Function Consulting Team beraten wir hauptsächlich Rechtsabteilungen in Unternehmen. Zu unseren Kunden gehören sowohl DAX- als auch mittelständische Unternehmen. Gleichzeitig führen wir viele Gespräche mit Softwareanbietern. Diese dienen in erster Linie dem Austausch von Erfahrungen aus den Beratungsmandaten. Nicht zu unseren Kunden gehören Kanzleien, diese sind im Zweifel eher unsere Konkurrenz. Ziel im Rahmen der Mandate ist es, durch die Implementierung von Legal Tech-Software Arbeitsprozesse zu optimieren.


Vor deiner Tätigkeit als Legal Tech Consultant hast du lange Zeit bei Accenture gearbeitet, also einer klassischen IT-Beratung. Kannst du dich noch an dein allererstes Beratungsmandat erinnern?

Bei Accenture habe ich unter anderem „klassische“ SAP-Beratung gemacht, das heißt die Implementierung von SAP-Software, die Standardisierung von Prozessen usw. Zentrales Anliegen war dabei auch immer, die Innovationskraft von Unternehmen zu steigern. Mein erstes Mandat hatte ich 1996. Dazu gibt es eine lustige Anekdote. Ich bin in Berlin aufgewachsen und habe dort studiert. Ich dachte damals, wenn ich zu einer Beratungsfirma gehe, lerne ich die große Welt kennen. Mein erstes Beratungsmandat war dann ironischerweise bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Es ging um die Testung und Kontrolle von SAP-Software. Dafür habe ich noch schnell programmieren gelernt und durfte dann einzelne Sachen auch direkt selbst programmieren.


Welche Probleme begegnen dir und deinem Team im Vergleich dazu im Legal Tech Consulting?

Das ist ganz unterschiedlich. Zunächst einmal ist das Thema Legal Tech in aller Munde. Vor zwei bis drei Jahren gab es wohl den vorläufigen Peak des Hypes. Daraufhin wollten alle bei dem Thema mitmischen und es folgten die Legal Operations. Mein subjektiver Eindruck ist, dass das Thema immer noch heiß ist, aber es nun nicht mehr so im Vordergrund steht. Viele Unternehmen wollen sich aber nach wie vor damit beschäftigen. Dann wartet aber ein Berg an Entscheidungen. Viele wissen gar nicht genau womit sie anfangen sollen. Meistens sagen Mandanten: „Hierfür hätte ich gerne die beste Software, die für mich am besten passt. Welche können Sie denn empfehlen, Herr Fuhrmann?“ Dann gibt es einen Austausch bezüglich der Anforderungen und es folgt die Software Selektion. Wiederum andere wollen generell erstmal einen Marktüberblick haben. Es gibt gerade nicht den großen Anbieter wie SAP, mit dem man nichts falsch machen kann. Im Bereich Legal Tech herrscht noch ein Wildwuchs, was die unterschiedlichen Softwarelösungen angeht. Wenn sich Mandanten dann für Maßnahmen im Bereich Legal Tech entscheiden, gibt es meistens zwei bis drei Themen, die im Fokus stehen. Zunächst sind dies das Vertragsmanagement, aber auch Legal Spend Analysen, weil die wenigsten hierrüber einen Überblick haben. Dann steht auch das Document Management im Fokus, zusätzlich dazu gehören das Matter Management, das E-Billing sowie High-Level-Document Management. Regelmäßig gibt es auch Rückfragen zum möglichen Einsatz von AI.


Legal Tech im Allgemeinen hat natürlich einen juristischen Kern, dennoch würden wohl kaum jemand der Behauptung widersprechen, dass die wenigsten Juristen nach dem Studium umfassendes Wissen über Legal Tech haben. Welchen haben Ausbildungshintergründe haben euere Teammitglieder?

Da muss ich ein bisschen grundsätzlicher anfangen. Hinsichtlich der Arbeit im Bereich Legal Tech gibt es eine Glaubensfrage, bei der sich zwei Lager gegenüberstehen. Die einen sagen, nur Anwälte wissen, was ein Anwalt braucht. Die anderen stellen das Technologieverständnis und Methodik in den Vordergrund. Ich denke, die Wahrheit liegt dazwischen. Man braucht beides. Ich selbst habe Jura studiert und das hilft mir auch bei meiner Arbeit. Dann habe ich noch Wirtschaftsjuristen in meinem Team, die haben ihre Kompetenzen vor allem im Vertragsmanagement. Dann habe ich noch einen Director in meinem Team, der vorher vor allem Managementberatung gemacht hat, also eher Quereinsteiger ist. Alle Teammitglieder sind aber sehr Tech- bzw. IT-affin. Im Ergebnis ist es wichtig, dass verstanden wird, wie eine Rechtsabteilung arbeitet. Es muss klar sein, welche Prozesse essenziell sind und wie diese optimiert werden können. Auch muss klar sein, wie sich diese Prozesse in die gesamte Unternehmenslandschaft einfügen. Gerade letzteres vergessen Anwälte häufig, da ist ein ganzheitlicher Blick auf die Dinge häufig wichtig.


Bringen Juristen, die bei euch neu anfangen, ihr technisches Verständnis schon mit oder bekommen die dies im Laufe der Zeit angelernt?

Viele haben sich damit bereits im Studium beschäftigt und haben eine Affinität dafür. Ein Beispiel: Ein Teammitglied ist klassischer Anwalt. Er hat zum Beispiel seine eigene Dokumentenerstellungs-Factory. Dabei hat er viele Prozesse wie Schriftsätze für Klagen, Klageerwiderungen, Berufungen und so weiter durch seine eigene Software standardisiert. Am Ende nähert sich dem Thema jeder ein bisschen anders. Aber das ist auch das schöne, so entstehen immer neue Perspektiven.

Da versuchen wir mit unserer Initiative auch einen Beitrag zu leisten. Sind Beratungsprojekte bei Euch auf Rechtsabteilungen beschränkt oder werden solche Projekte auch auf ganze Unternehmen ausgebreitet?

Im Fokus stehen natürlich die Rechtsabteilungen und hier unter anderem Legal Technologie Software Lösungen. Aber es wäre nicht sinnvoll, einfach eine neue Software zu implementieren, es braucht einen ganzheitlichen Ansatz. Andernfalls würden sich die Anwendungen nicht in die Unternehmenslandschaft einfügen und daher nicht den gewünschten Effekt bringen. Die meisten Unternehmen haben schon ein Ticket- oder Incident Management. Dann stellt sich die Frage, ob ein zusätzliches System überhaupt sinnvoll ist. Das Unternehmen sollte nicht mit drei oder vier ganz unterschiedlichen Prozessen arbeiten, damit ist niemanden geholfen. Auch hierfür gebe ich dir ein Beispiel: Aus der Marketingabteilung kommt eine Anfrage an die Rechtsabteilung, ob ein Beitrag auf Social Media Plattformen geteilt werden darf. Diese Anfragen kommen heutzutage typischerweise noch per Email oder Telefon. Durch Legal Tech ändert sich dann der Anfrageprozess bzw. die Übergabe des Themas, sei es per Ticket, per Workflow oder anderen Lösungen. Es ist daher auch immer das Change Management für das gesamte Unternehmen zu beachten. Wie in dem Beispiel gehen die Prozesse regelmäßig über die Rechtsabteilung hinaus. Diese Kommunikationsprozesse schauen wir uns daher auch immer als erstes an. Unser Ziel ist es nicht nur, Prozesse schneller und digitaler, sondern allgemein effizienter zu machen. Man kann es so zusammenfassen: Wenn ein Unternehmen einen furchtbar schlechten Prozess hat und ein Legal Tech-Software eingeführt, bleibt der Prozess furchtbar schlecht, er ist nur schneller. Ein weiteres Beispiel: So gut wie alle Unternehmen haben heute ein IT-Security Konzept. Daran kann in der Praxis einiges scheitern. Typische Fragen sind hier, ob eine Cloud Lösung möglich ist oder ob die Software in beziehungsweise hinter die eigene Firewall integriert werden muss. Hier muss also auch eine ganzheitliche Lösung her.


Welche Probleme begegnen euch als Spezialisten? Du hast zu Beginn schon gesagt, dass es unheimlich viel Software gibt und es gefühlt immer mehr wird. Was wird sich deiner Meinung nach in den Rechtsabteilungen in den nächsten Jahren am schnellsten verändern?

Gute Frage. Vielleicht der IT-Stand der Rechtsabteilungen. Diese hinken den anderen Abteilungen momentan gut 10-20 Jahre hinterher. Wir strukturieren und bewerten Denkprozesse und fügen Puzzleteile zusammen. Deswegen erwarte ich nicht, dass Mandanten dazu schon alles durchdacht haben. Da können wir einen Beitrag leisten. Wichtig ist, dass der Mandant sein Problem artikulieren kann. Eine besseres IT-Verständnis wird dabei in der Zukunft helfen. Auch hierzu wieder ein Beispiel: Ein Mandant kontaktiert uns bezüglich einer AI-Vertragsanalyse. Nach Rückfragen stellt sich dann heraus, dass es sich um ca. 50 Verträge handelt. Dafür könnten wir ihm zwar eine Software anbieten und verkaufen, kosteneffizient ist das aber nicht. Dazu passen auch die Ergebnisse unserer Legal Operation Studie (https://ey-law.de/de_de/rechtsberatung/studie-2020-2021-legal-operations-was-die-fuehrenden-rechtsabteilungen-in-deutschland-besser-machen). Dort haben wir auch das Budget abgefragt. Nur 30% der Rechtsabteilungen nannten ihr Budget, andere konnten oder wollten das Budget nicht nennen. Ein Abteilungsleiter sollte aber sein Budget kennen. Hier bieten sich dann Legal Spend Lösungen an, um Klarheit zu schaffen.


Im Rahmen der Studie hast du als den Mehrwert von Legal Operations angegeben, dass ihr eine höhere Effizienz schafft und dass es darum geht, die Rechtsabteilung zu einem Trusted Advisor zu transformieren. In diesem Zusammenhang versteht ihr Legal Operations auch als Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses von Rechtsabteilungen. Wie sieht dieses neue Selbstverständnis aus? Und wie sollen sich junge Juristen denn in Zukunft sehen?

Der Anwaltsjob ist ein wunderbarer Job, ein sehr schönes Handwerk. Aber die Rechtsabteilung wird oft nicht als Hilfeleistung gesehen, sondern als Verhinderer. Anfragen dauern lange und Antworten treffen den Kern der Sache nicht. Dadurch gerät die Rechtsabteilung oft als „Troublemaker“ in Verruf. Bei einem DAX-Mandat habe ich den Begriff Trusted Advisor im Gespräch mit dem Leiter der Rechtsabteilung wahrgenommen. Und das sollte das neue Selbstverständnis sein, die Rechtsabteilung sollte als Trusted Advisor wahrgenommen werden. Juristen sollten aktive Problemlöser sein und als Hilfe wahrgenommen werden. Zwar gehört es am Ende auch dazu, mal „Nein“ zu sagen, daraus sollte dann aber auch immer eine Problemlösung resultieren. Dazu gehört, dass Rechtsabteilungen, wie andere Abteilungen auch, ihr KPIs, ihr Budget, ihre Einsparziele, ihre Mitarbeiterzahl usw. kennen. Im Moment ist das nicht überall der Fall. Damit beginnt das neue Selbstverständnis und so sollte dann auch gearbeitet werden: Kosteneffizient, präzise und lösungsorientiert.


Zu guter Letzt würde mich noch Interessieren, was dir an deinem Job am meisten Spaß macht und wem du den Job weiterempfehlen würdest?

Mir gefällt am meisten das interdisziplinäre Arbeiten. Die Mischung aus IT, Prozessen und Recht begeistert mich. Dadurch warten auch jeden Tag neue Herausforderungen. Der Weg von einer Anfrage bzw. einem Problem bis zur Lösung ist häufig ein langer Weg, aber dadurch auch super interessant. Den Job würde ich jungen, aufgeweckten und strukturiert denkenden Studenten empfehlen. Man muss kein Anwalt sein, aber es muss eine gewisse Affinität zum Recht bestehen. Wirtschaftsjuristen mit einer technischen Ausbildung werden wahrscheinlich viel Spaß an dem Job haben. Ein klassischer Anwalt, der nur seine Gutachten schreiben möchte und Rechtsrat geben will, wird hier wahrscheinlich nicht glücklich, genauso wenig derjenige, der nur programmieren will. Ein Interesse am Weiterdenken von Prozessen und sowohl ein Interesse am Recht als auch an der IT sind wichtig. Außerdem steckt das Technologiebewusstsein häufig noch in den Kinderschuhen. Insofern kann im Bereich Legal Function Consulting schnell Wissen aufgebaut werden und man kann schnell glänzen, weil so vieles neu ist. Für junge, aufgeweckte Menschen, die nicht an Gutachten hängen möchten, ist das ein schönes Thema.


Vielen Dank für das Gespräch!


Im EY Law Legal Operations Podcast wird regelmäßig erklärt, wie Rechtsabteilungen effizienter, agiler, skalierbar und serviceorientierter aufgestellt ist. Die Experten von EY Law diskutieren regelmäßig über die neusten Entwicklungen in den Bereichen Legal (Process) Outsourcing, Contract Management, KPI/Benchmarking, Corporate Secretary Services, Legal Tech und andere Themen und Trends.


Interviewer

Julius Scherr studiert Rechtswissenschaften im 9. Semster an der Ruhr-Universität Bochum und ist seit 2021 Mitglied bei eLegal. Er arbeitet als Werkstudent bei EY.