Digitalisierung im Jurastudium

Interviews zu digitalem Lernen

Als Legal Tech-Initiative beschäftigen wir uns mit der Digitalisierung des Rechtsmarkts. Als vornehmlich studentische Initiative interessiert uns aber auch: Wie sieht es mit der Digitalisierung im juristischen Studium aus? Wo stehen wir und welche Potenziale werden nicht genutzt? Ist das juristische Studium in seiner heutigen Form der Digitalisierung überhaupt zugänglich? Und vor allem: Was würde "Digitalisierung" im juristischen Studium überhaupt konkret bedeuten?

Unser Mitglied Christiane Wörgötter hat mit zwei ganz unterschiedlichen Unternehmern gesprochen, die es sich beide zur Aufgabe gemacht haben, Jurastudierenden das digitale Lernen zu ermöglichen. Thomas Kahn entwickelt die "Basiskarten Jura" für das Spaced Repetition-Programm "Anki". Christian Leupold Wendling ist Mitgründer und Geschäftsführer der Lernapp "Jurafuchs".

Welche Ansätze die beiden genau verfolgen, was sie antreibt und welchen spezifischen Mehrwert das digitale gegenüber dem analogen Lernen hat, lesen Sie hier.


Zu den Interviews

Christian Leopold Wendling (Jurafuchs)
Thomas Kahn (Basiskarten)
 

Wendling und Kahn zur Digitalisierung im Jurastudium:

„Was verstehst du unter Digitalisierung im Jurastudium? Wie sieht es da aus deiner Sicht aktuell in unserem Fach aus?“


Thomas Kahn:

“Ich verstehe Digitalisierung als Prozess, der den zunehmenden Einsatz digitaler Tools in einem bestimmten Bereich beschreibt. Der Begriff ist für mich erst einmal wertneutral. Ich würde sagen, es geht darum, im Einzelfall zu prüfen, wo Digitalisierung sinnvoll ist.
Ein naheliegendes Beispiel ist die Recherche in Online-Datenbanken. Eine Volltextsuche ist natürlich deutlich komfortabler als in einem Kommentar nachzuschlagen, in dem sich jedes Jahr ungefähr 0,5% ändern, der dann aber jeweils komplett neu angeschafft werden muss. Auch Programme wie Anki zeigen meiner Meinung nach, wie gewinnbringend Digitalisierung sein kann. Gerade in der letzten Zeit finde ich es begrüßenswert, dass viele ihre Vorlesungen aufnehmen, dass man also die Möglichkeit hat, sie auch später noch – im eigenen Tempo – anzuschauen. Außerdem wird Wissen dadurch dezentralisiert. Es geht weg von der Uni. Theoretisch kann plötzlich jeder Mensch auf der Welt Zugriff auf diesen Wissensbereich haben, der vorher nur einem kleinen Kreis an Leuten vorbehalten war.
Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass es teilweise zu viel Digitalisierung gibt. Das zeigt sich jetzt z.B. durch die reinen Online-Semester. Wenn man zuhause wohnen bleibt und sich Vorlesungen und Seminare per Zoom anschaut, statt in eine andere Stadt zu ziehen, sich mit seinen Kommilitonen anzufreunden und am Uni-Leben teilzunehmen, dann geht dabei natürlich etwas verloren. Ein anderer Aspekt ist, dass bei der Arbeit am PC die Gefahr viel größer ist, dass ich mich völlig in digitalen Inhalten verliere. Instagram und YouTube sind immer in Reichweite. Wenn ich am PC lerne, muss ich deshalb Strategien finden, um davor gefeit zu sein.
Hier gibt es zwei Programme, die mir sehr helfen. Das eine nennt sich Cold Turkey. Damit kann man ablenkende Webseiten während der Arbeitszeit sperren. Es ist einfach leichter, sich zu konzentrieren, wenn man gar nicht die Option hat, von Beck Online mal schnell zu YouTube zu wechseln. Das andere Programm ist eine App, die ich habe entwickeln lassen, und zwar die Lock My Phone-App. Die sperrt das Telefon zu den eingestellten Zeiten – und auf Wunsch nur an bestimmten Orten – einfach komplett.”


Christian Leopold Wendling:

“In der Rechtswissenschaft wird alles ständig definiert. Nur beim Begriff der Digitalisierung habe ich das Gefühl, dass es kaum jemanden stört, dass darunter jeder etwas anderes versteht und es ein Moving Target ist. Im Podcast der Zeit ("Sind wir jetzt endlich digitalisiert, Sascha Lobo?"), findet Sascha Lobo meiner Meinung nach genau die richtige Definition von Digitalisierung: Er sagt dazu, dass "das, was man als Digitalisierung empfindet, meistens das ist, was gerade noch nicht technologisch da ist, aber schon am Horizont erkennbar ist".
Rückblickend waren die Anfänge der Digitalisierung wohl die Umrüstung von einer Schreibmaschine auf die digitale Schreibmaschine und anschließend auf den Computer. Die Digitalisierung ist aber kein Prozess, der abgeschlossen ist. Ich glaube, dass uns eine weitere massive digitale Transformation bevorsteht. Am Horizont sind bereits Technologien und Methoden sichtbar, die Auswirkungen auf die Digitalisierung der Bildung haben werden. Dabei geht es zum Beispiel um App-Technologie, Gamification, Microlearning, Social Learning – also Vernetzung – Machine Learning, KI, Big Data – speziell Learning Analytics – die konkreten Auswirkungen auf die Personalisierung von Lernfäden haben werden. Zu nennen sind weiter der 5G Ausbau, mit erheblichen Auswirkungen auf mobiles Lernen, Virtual, Augmented Reality und die Sprachsteuerung. Da gibt es natürlich noch viel mehr – das ist ja auch das Spannende unserer heutigen Zeit. Schaut man sich diese Methoden und Technologien als Beispiel an, ist meiner Meinung nach die Diagnose nicht gewagt, dass wir insgesamt bei der Bildung in Deutschland hinterherhängen. Und bei der juristischen Bildung wahrscheinlich noch schlimmer.
Die Corona-Pandemie hat natürlich Fortschritte in der Digitalisierung gebracht, aber deutlich weniger, als möglich wären. Die Möglichkeit, Vorlesungen asynchron abspielen zu können, finde ich natürlich gut. Ich glaube, dass das alle gut finden. Dieser Schritt der Digitalisierung hätte aber schon viel früher gegangen werden müssen.”